Im Ohr von Beethoven: “Sound and Silence” in Bonn
Kann man den Klang der Stille hören? Und den Lärm mundtot machen? Im Kunstmuseum Bonn widmet sich eine klug durchdachte und sinnliche Ausstellung der Fülle der Leere ebenso wie dem Atmen der Töne. Mit Beethoven und John Cage als Kontrapunkten.
Macht der Ton die Musik – oder doch eher die Stille? Ludwig van Beethoven war da ganz anderer Meinung als John Cage.
Noch im Zustand vollkommener Taubheit setzte Beethoven auf (für ihn nicht) hörbare Harmonik; Cage hingegen komponierte mit “4’33”” ein Stück über das komplette Schweigen eines Klaviers. Bei Beethoven ist die Leere in der Partitur der Rahmen für die Note; bei Cage umrahmt das Zu- und Aufklappen des Klavierdeckels ein musikalisches Nichts in drei Sätzen.
Die Außenwelt der Innenwelt der Außenwelt
Beethoven vs. Cage: Das ist der Spannungsbogen, zwischen dem sich die Werke von “Sound and Silence” in Bonn bewegen. Dabei geht es aber selbst bei Beethoven eigentlich nicht vorrangig um Musik. Vielmehr geht es um das kaum verständliche Phänomen, dass der ertaubte Komponist trotz einer für ihn komplett verstummten Außenwelt aus seinem polyphonen Inneren heraus großartige Meisterwerke zu schaffen wusste.
John Baldessari macht das in “Beethoven’s Trumpet (With Ear) Opus #133” (2007) augenfällig, indem er das überdimensionierte Hörrohr des Komponisten zu einer Art Grammophontrichter funktional umstülpt. Wer hineinspricht, bekommt Fragmente des späten Streichquartetts “Große Fuge” als dumpfes Echo der Erinnerung direkt aus Beethovens Ohrmuschel.
Symphonie Goes Bild
Seine späten Werke konnte Beethoven von außen nur noch visuell – über die Partitur – erfahren. Dem entsprechend verwandelt William Anastasi die “Fünfte” über eine an die Wand drapierte Bandaufnahme in ein skulpturales, stummes Bild. Und im Nebenraum verdichtet Jorinde Voigt die emotionale Bandbreite der 32 Klaviersonaten in vernetzte Zeichnung.
Laurie Anderson wiederum schafft einen haptischen Wahrnehmungsweg fürs Akustische, indem sie im “Handphone Table” Schallwellenvibrationen, die über die Knochenleitung des aufgestützten Ellenbogens bis zum Schädelknochen weitergeleitet werden, sinnlich anders erfahrbar macht (siehe Gebrauchsanweisung unten).
Pause : Ta ta ta taa : Pause
Trotz des als schmerzhaft erfahrenen Verklingens der Welt war auch Beethoven offen für die Leere: Immerhin beginnt seine “Fünfte” mit einer Achtelpause vor dem berühmten Auftakttönen. Trotzdem bleibt Cage der ungekrönte Komponist der Stille. Und hat als solcher die Kunst seit Fluxus weitaus mehr geprägt als das Harmonie-Genie.
In Bonn strahlt das nicht nur ab auf Yoko Onos poetischen Versuch, das Niederschweben der Schneeflocken auf Tonband zu bannen (1963/65), sondern auch auf Carsten Nocolai, der in den Stangen von “Void 50 Hz (7 BIT, 9 BIT, 11 BIT)” (2007) Geräusche unhörbar verschlossen zu speichern sucht.
In einer Performance im Foyer des Kunstmuseums präparierte Tatiana Blass ein Klavier, indem sie während einer Aufführung flüssiges Wachs in den Klangkorpus kippte: das allmähliche Verstummen des Pianos beim Spielen.
Annika Kahrs wiederum versöhnt Beethoven und Cage gewissermaßen miteinander: In ihrem Video lässt sie vier Streicher nach dem ersten Satz des Quartetts Nr. 4 c-Moll op. 18 die Plätze tauschen; die einstudierte Harmonie versinkt im gähnenden Schlund des Missklangs.
Der hohe Ton der Nerven
Angeblich kam Cage die Idee zu “4’33”” in einem schalltoten Raum der Harvard University – weil er dort eben nicht Nichts hörte, sondern den tiefen Ton seines zirkulierenden Bluts und den hohen Ton des Systems seiner Nerven.
Echte Stille gibt es eben nicht. Zumindest das eigene Ich ist als Grundrauschen ja immer da. Das Fehlen von normalem Lärm macht einfach nur Anderes, oft Übertöntes hörbar. Auch darauf weisen viele der in Bonn gezeigten Arbeiten hin.
Vielleicht ist die Anekdote vom nach Innen lauschenden Cage ja auch ein gutes Bild für ein Museum, das Besucher als “stiller” Resonanzraum zurückwirft auf sich selbst – und die Ohren öffnet für die Klänge ihrer eigenen Gefühle und Reflexionen. In “Sound and Silence” jedenfalls kann man das Modell schon mal erproben. (14.06.2021)
„Sound and Silence. Der Klang der Stille in der Kunst der Gegenwart“ ist noch bis zum 5. September 2021 im Kunstmuseum Bonn zu hören. Und zu sehen natürlich auch.
Homepage des Kunstmuseums Bonn
Appendix: Wie sich John Cage einmal vor uns verbeugt hat
Einmal hat sich John Cage vor uns verbeugt. Zumindest vor einem Teil von uns, wir waren ja nicht alle da. 1991 war das, ein Jahr vor seinem Tod, während der Juli-Festwochen in Zürich, die ihm und Joyce gewidmet waren. Wir saßen in der Tonhalle, erst gab es Beethoven, dann Mozart, dann eben Cage: ein Stück für Quartett und vier Swatch-Uhren, wenn wir uns recht erinnern. Aber wir können uns auch irren. Es ist ja schon so lange her.
Erst dachte das Publikum wohl, die Musiker stimmten ihre Instrumente: Es wurde gemurmelt und getuschelt wie in der Pause. Als klar war, dass das Stück längst begonnen hatte, regte sich mit Sitzeklappern und anschwellendem Gelächter akustischer Widerstand. Reihenweise und teils Türe knallend verließ Volk den Saal. Das Ende des Stückes bekam selbst drinnen kaum jemand mit.
Auch uns war etwas so Unerhörtes noch nie zu Ohren gekommen (wir stammen aus dem Sauerland). Aber anders als den Entgeisterten leuchtete uns der Mix aus Klang, Zeit und Zufall auf Anhieb unumwunden ein. Also nahmen wir unseren ganzen Mut zusammen, erhoben uns demonstrativ von unseren Plätzen und spendeten mit einem kleinen Fähnlein Aufrechter Applaus.
Da stand ein paar Reihen direkt vor uns ein Mann auf (in unserer verblassenden Erinnerung ist es ein kleiner, gebrechlicher Mann), drehte sich zu uns um, verbeugte sich – und ging gemessenen Schrittes hinaus.
Dieser Mann war John Cage.
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