Fotos malen? Trügerische Bilder im Marta
Fotografie und Malerei: Das war von Anfang an eine Hassliebe. Im Marta Herford zeigen sieben internationale Künstlerinnen und Künstler, was passiert, wenn sich die Genres versöhnen. Das Ergebnis ist großartig und verwirrend zugleich. Und eben „trügerisch“.
Sind für Maler Fotos Kunst? Wir haben Benjamin Katz gefragt, der die deutsche Kunstszene über Jahrzehnte mit der Kamera begleitet hat. Markus Lüpertz sei bis heute ein „absoluter Anti-Fotograf“, hat Katz uns gesagt – eine Antwort, die vielleicht auch unser eigenes Fotoshooting mit Lüpertz in neuem Licht erscheinen lässt. Georg Baselitz hingegen habe den Wert der Fotografie, wenn auch spät, so doch erkannt.
Gerhard Richter sei eine einsame Ausnahme: „Weil Richter selbst Fotos macht und etwas von Fotografie versteht“, sagt Katz. „Richter weiß die Fotografie wirklich zu schätzen.“
Gäbe es Richter ohne Talbot?
Tatsächlich ist Richters Malerei von Anfang an von Fotos und von den Anfängen der Fotografie geprägt: Als Vorlage und Malgrund, aber auch vom Fokus der Weltbetrachtung her: Richters Seestücke wären ohne den Blick von Foto-Pionier Gustave Le Gray aus dem 19. Jahrhundert wohl kaum denkbar.
So schließt sich der Kreis: War die Fotografie in ihren impressionistischen Anfängen noch stark bemüht, die Malerei zu imitieren, so nutzt die dank der Fotografie durch die Moderne gegangene Malerei heute die Errungenschaften der Fotografie.
Die malerische Dunkelkammer
Im Marta Herford ist der ganze Kreis vorhanden: Den Bogen vom malerischen Foto zum fotografischen Gemälde spannt die Herforder Ausstellung von Dirk Braeckmann zu James White, die beide im Sinne des Ausstellungstitels „trügerisch“ arbeiten.
Von Braeckmann gibt es im Marta neben Großformaten eine kleinere Rückenansicht, deren imposante „malerische“ Qualitäten experimentell in der Dunkelkammer entstanden sind (leider wegen der Unsichtbarkeits-Maschine hier nicht zu sehen).
Und White nutzt sein altmeisterliches Können für eine in ihren Graustufen fein austarierte Schwarz-Weiß-Malerei, die die glatte Oberfläche von Schnappschüssen zu imitieren scheint – aber nur, um unsere Sehgewohnheit irritierend auf die Probe zu stellen. Tatsächlich könnten seine raffinierten Bilder banaler Interieurs so eben nie vom Objektiv einer Kamera geformt worden sein.
Bannen mit Flüchtigkeit
Das Trügerischste an Fotos ist unserer Meinung nach die Illusion, im unaufhörlichen Lauf der Zeit die Pause-Taste drücken zu können, um so beliebig oft in denselben Fluss zu steigen. Jedes Foto gibt ja vor, das Flüchtige zu bannen, und das ironischerweise mit dem Flüchtigsten, was der Liebe Gott an aller Tage Anfang geschaffen hat: dem Licht.
Aber das Verblassen der Erinnerungen lässt sich auch mit Fotos, die ja nur an ihre Stelle treten, nicht aufhalten. Das geht auch mit dem kulturellen Gedächtnis nicht. Mit dieser Erkenntnis spielt Vittoria Gerardis Triptychon „Pompeii, Temple of Isis“ (2019), bei dem eine feine Gipsschicht den Blick auf die in Silbergelatine eingefrorene Darstellung der vom Vesuv verschütteten Stätten verwischt.
Ausgerechnet jenes Material, mit dem die archäologische Wissenschaft die von Menschen hinterlassenen Leerstellen in der Asche-Schicht des begrabenen Pompeii ausfüllten, um ihre einstigen Bewohner wieder sichtbar zu machen, wird hier zum verbergenden Schleier.
Die Quadratur des Kegels
In der Installation von Anthony McCall dann wird durch Nebelmaschinen die Flüchtigkeit des Lichtes selbst aufgehoben: in einer Art begehbarer Dunkelkammer kann der Besucher hier scheinbar wirklich durch den immer gleichen Fluss eines Lichtkegels schreiten, der am Boden aber sein eigenes grafisches Bild: einen Kreis, immer wieder destruiert und zusammensetzt. Das ist Fotografie – also „Lichtmalerei“ – also trügerisches Bild – in Reinkultur.
Heute ist die Fotografie, die einstmals in den Augen der Betrachter den Moment für die Ewigkeit zementierte, ohnehin selbst flüchtig geworden. In einer Welt, in der täglich mehr Bilder geknipst werden als in den fast 200 Jahren vorherhegangener Fotografiegeschichte, verschwindet das künstlerische Foto im Rauschen. Wo die Aufmerksamkeit (und vielleicht auch die Kulturtechnik des Bilderlesens) verloren geht, geht das Bild verloren.
Um es in einer anderen Form zu retten, muss man es vielleicht in Malerei überführen. In gewisser Weise macht das Radenko Milak, der seine Bilderzählungs-Aquarelle zur Zerstörung der Natur im Anthropozän oder zu den sozialen Auswirkungen der Corona-Pandemie nach langer Recherchearbeit aus Nachrichtenbildern konzipiert.
Gerhard Richter würde dieser Ansatz vermutlich gefallen. Schließlich hat er nicht nur Ahnung von Fotografie, sondern auch von Malerei.
Entdeckungen machen
Trügerische Bilder“ jedenfalls ist eine klug konzipierte Schau, die zeigt, dass das Team des Marta für das fotografische Gemälde ebenso viel Gespür hat wie für das malerische Foto. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.
Und dann kommt im Juni ja auch noch „Entdeckungen“ von Benjamin Katz nach Herford. Eine Ausstellung ganz ohne die bekannten Künstlerporträts. Aber dafür mit zahlreichen Überraschungen. Wir durften die gezeigten Bilder schon sehen, und soviel sei verraten: So, wie Gerhard Richter fotografisch malt, macht Katz sehr malerische Fotos. (24.05.2021)
„Trügerische Bilder. Ein Spiel mit Malerei und Fotografie“ ist noch bis zum 15. August 2021 im Museum Marta in Herford zu sehen. Und momentan ist ja tatsächlich geöffnet.
Anmerkung: Auch bei den oben gezeigten Ausstellungsbildern ist mindestens eines ebenfalls trügerisch. Denn es setzt mit digitalen Mitteln malerisch um, was wir beim Gang durchs Marta empfunden haben. (Machen wir hin und wieder ohnehin ganz gerne.) Trotzdem gibt natürlich auch dieses Foto den Typ der Ausstellung wieder. Findet Ihr es?
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