Warum überflüssig? “Luxus und Glamour” in Remagen
Doch, doch: Kunst ist systemrelevant. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Nur ist sie es eben auf ganz eigene Weise. Das zeigt gerade die ebenso schöne wie kluge Ausstellung “Luxus und Glamour” im Arp Museum Bahnhof Rolandseck in Remagen. Möge sie möglichst lange geöffnet bleiben.
Ob etwas Luxus ist, merken wir ja meistens immer erst, wenn dieses Etwas fehlt. Das wird dann schwierig, wenn politisch entschieden werden muss, was uns fehlen darf ist und was eben nicht. Der Corona-Diskurs hat hierfür den Begriff der “Systemrelevanz” ausgemacht: Demnach ist das Luxus und überflüssig, was die Mehrheit nicht braucht.
Das Problem ist nur, dass das, was fürs Leben jenseits von Nahrung wichtig ist, letztendlich eben nur individuell definiert werden kann. Und das gilt selbst dann, wenn im Extremfall für 99 Prozent der Weltbevölkerung der gute Haarschnitt oder das gute Shopping-Schnäppchen überlebenswichtiger ist als ein gutes Bild.
Latschen oder Prada
So gesehen kann die wundervolle Ausstellung “Luxus und Glamour” im Arp Museum an NRWs Peripherie die in letzter Zeit doch ziemlich unglücklichen “Happy few” mit der Welt da draußen wieder etwas versöhnen.
Weil hier eine junge Generation von Stipendiatinnen und Stipendiaten des Künstlerhauses Schloss Balmoral am Verhältnis von Kunst und Mode auf eine sehr reflektierte und immer wieder sehr eigenwillige Weise ein gerade auch wegen Corona wieder sehr aktuelles Thema beleuchtet, das die Menschheit aber seit jeher in Abstinenzler und Verschwender spaltet.
Ein oft moralisch demonstrativ aufgeladenes Schisma: Jesus trug Latschen. Der Teufel trägt bekanntlich Prada. Und die Hure – so in der Installation “Die Hure schlägt zurück” der Stipendiatin Anna Lucia Nissen – natürlich höllisch hohe High Heels.
Emsig wie die toten Bienchen
Auf die Allianz des Überflusses (“Luxeria”) mit anderen Todsünden spielt Eunmi Chuns in ihrem “Spiegel des Neids” reflektierend an. Ebenso dezent und unaufdringlich wie Aneta Kajzer in ihren – übrigens sehr guten! – Bildern.
Ansonsten geht es im Arp Museum um den glamourösen Zusammenhang zwischen Schmuck und Körper oder um die Rolle des Luxus für Identität und Gender. Oder um die Kleidung der Zukunft: Wie bei Elif Saydam, in dessen Zukunftsphantasie die Bienen ausgestorben sind und die Künstlerinnen und Künstler als Kollektiv in individuellen Outfits die Bestäubungsarbeit verrichten müssen.
Hier wird eine im ökonomischen Diskurs oft als überflüssig verschriene Gattung plötzlich sehr systemrelevant. Was für eine schöne Utopie vor trauriger Kulisse.
Basquiat pour Homme
Heutzutage, wo Künstler It-Taschen oder Tücher für Modelabels entwerfen oder selbst zu Zeitgeist-Marken geworden sind, mit denen sich Bankvorstände (Gerhard Richter) oder Hollywoodstars (Jean-Michel Basquiat) gern schmücken, sind die Grenzen zwischen Kunst und Mode ja ohnehin fließend geworden.
Ekachai Eksaroj weist ironisch darauf hin: Im Museumsfoyer hat er einen fiktiven “Fashion Shop” mit nichts als seinem Namen tapeziert. Der einfache Einfall eröffnet dem Betrachter ein großes assoziatives Feld, um über das, was wirklich wichtig ist, nachzudenken.
Der tut nix, der will nur spielen?
Was ihre mangelnde “Systemrelevanz” angeht, macht es die Kunst ihren marktorientierten Kritikern ja oft auch einfach. Denn sie posaunt über das Postulat ihrer “Sinnlosigkeit” und das interesselose Wohlgefallen ihrer Betrachtung oft selbst in die Welt hinaus, “Luxus” zu sein.
Oft natürlich auch hier mit Ironie: Thomas Perrin präsentiert in seiner Installation “Je ne fait rien” Abbilder des faul im Bett liegenden Künstlers aus dem 3D-Drucker, der zum Turbokapitalismus nichts beizutragen hat als seine anarchische Oblomowerei.
Und Lydia Nüüd zaubert bestrickend schöne und knallig bunte, in jahrelangen Arbeitsprozessen gefertigte Arrangements aus Geschenkband, das so seiner verhüllenden Funktion im gesellschaftlichen Prozess des Beschenkens verlustig gegangen ist.
Und wozu um alles in der Welt soll sowas bitte schön nütze sein?
Obacht: Bei Moral-Allergie nicht weiterlesen!
“Nütze” ist “sowas” schon allein deshalb, weil es uns vor Augen führt, was schief läuft in einem System, das Menschen rein als Humankapital und Konsumenten betrachtet und so von Arbeit und Objekt entfremdet. Und sich der Kaufkraft absurderweise zunehmend dadurch beraubt, dass es menschliche Arbeitskraft komplett wegzurationalisieren versucht.
Dem setzen die in “Luxus und Glamour” gezeigten Werke die unbedingte Individualität und Freiheit ihrer Entstehung und ihres Daseins entgegen. Möglichst weit weg von jenen Zwängen, mit denen der Turbokapitalismus natürlich auch Künstlerinnen und Künstler in die Honigfalle lockt.
Das ist Kunst, die einer offenkundigen Absurdität eine nur vermeintliche Sinnlosigkeit entgegensetzt. Und manchmal eben auch aus Funktionalem in “unrentablen” Produktionsprozessen pure Schönheit mit Hintersinn macht.
Schon allein wegen dieser auch im Arp Museum illustrierten Rolle als Gegenmodell und Reflexionsraum ist Kunst ein Luxus, den jede Gesellschaft sich leisten können muss. Systemrelevanter Luxus eben. Auf eine ganz besondere Art und Weise.
Auf jeden Fall ist Kunst ein Luxus, der zumindest uns “Happy few” von der KunstArztPraxis im Lockdown existentiell weit mehr gefehlt hat als ein guter Haarschnitt bei “Love is in the Hair” oder eine Creole von Bijou Brigitte. Von daher war der Besuch von “Luxus und Glamour” eine Wohltat.
Also: Unbedingt anschauen. Solange es noch geht. (18.3.2021)
Anmerkung: Kaum veröffentlicht, schon überholt: Leider muss “Luxus und Glamour. Vom Eigensinn des Überflüssigen. Stipendiat*innen des Künstlerhauses Schloss Balmoral und des Landes Rheinland-Pfalz 2019/20” am 20. März 2021 schon wieder schließen! Wir hoffen auf baldige Wiedereröffnung. Ab dann wäre die Ausstellung bis zum 24. Mai 2021 im Arp Museum Bahnhof Rolandseck zu sehen.
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