Wohnen in der Fremde. Gregor Schneider in Krefeld
Mit seinen unheimlich fremd wirkenden, in Räume eingebauten Zimmern wurde Gregor Schneider weltbekannt. Jetzt hat er eine syrische Familie im Museum Haus Esters einziehen lassen und die Spuren ihres Wohnens an den Wänden zu Kunst gemacht. Unheimlich fremd auch das.
Im Haus Lange in der mondänen Krefelder Wilhelmshofallee hängt gerade ein Gemälde der Richter-Schülerin Karin Kneffel, das auf einem Schwarzweiß-Foto vom Damenzimmer im Haus Esters gleich nebenan basiert. Es ist mit roter Farbe fett durchgestrichen.
Der rote Durchstrich ist ein kongenialer Einfall Kneffels, aber gerne stellen wir uns vor, Ludwig Mies van der Rohe höchstpersönlich hätte schon das Original derart durchgeixt. Es kann ihm nämlich kaum gefallen haben, wie altbacken schwülstig die Unternehmer-Familie seine Bauhaus-Ikone zu möblieren gedachte.
In den Elternhäusern unserer Sauerländer Kindheit sah es kaum kitschiger aus.

Das ist ja oftmals das Dilemma: Dieser Widerspruch zwischen Reißbrett-Ideal und bewohnter Wirklichkeit, zwischen Moderne und Mainstream, zwischen gerader Linie und verbrecherischem Ornament.
Also: zwischen der rationalen Kühle abstrahierender Avantgarde und dem verständlichen Wunsch der menschlichen Seele nach Gemütlichkeit. Le Corbusier könnte auch ein Lied davon singen.


Wir haben die Fotos nicht gesehen, mit denen Gregor Schneider vor ein paar Monaten das neue Interieur von Haus Esters dokumentiert hat, aber wir stellen uns vor, dass Mies van der Rohe auch diese durchgestrichen hätte.
Man kann es immer noch erahnen, wenn man durch die inzwischen wieder leergeräumten Zimmer geht, die letzten Spuren reichen aus: Es ist immer noch hinlänglich Vergoldung am Start, viel bedruckte Tapete, schwere Gardine, gestickter Schnörkel, Ornament.
Und an der Wand eines rosa Zimmers schwebt ein Mädchen mit verträumten Augen und einem Blumenkranz im Haar auf einer Schaukel über den Wolken. Umschwirrt von Schmetterlingen.

Wie bei einer Wohnungsbesichtigung durchwandern wir im Schein nackter Glühbirnen das, was vom Kinderzimmer eines syrischen Mädchens im Haus Esters übrig geblieben ist – nur eben nicht als potentielle Nachmieter, sondern als Publikum.
Die ehemalige Bewohnerin ist Teil einer vierköpfigen syrischen Familie aus Gregor Schneiders Umfeld. Der Künstler hatte sie eingeladen, in der ehemaligen Industriellenvilla in Krefeld einzuziehen: für „eine gewisse Zeit“, wie er sagt. Genaueres erfahren Journalisten auch nach mehrmaligem Nachbohren nicht.*
*So war es auf der PK. Investigative Recherchen der KunstArztPraxis
ergaben: Es war offenbar (nur) der April 2025!*
*Ja und? Was ist mit dieser Erkenntnis gewonnen, hmm?
Merkste selber, KunstArztPraxis, oder?
In dieser „gewissen Zeit“ blieb das Museum geschlossen, sein Personal zog sich diskret zurück. Wir sind ja nicht auf einer jener Völkerschauen im Zoo des Bürgertums vor 150 Jahren oder in einem faschistischen Propaganda-Video von US-„Heimatschutzministerin“ Kristi Noem!
Hier soll ja eben NICHTS zur Schau gestellt, kein exotistischer Voyeurismus befriedigt werden. Dies hier ist hoch sensible Kunst. Kein menschenverachtendes Spektakel.

*Spoiler-Alarm: Wir vermuten: Kristi Noem.
Wo doch schon ihre Uhr oben im Gefängnis 50.000 Dollar kostet!
Da mag man gar nicht wissen wollen, wie sie wohnt.
Nur eins wüssten wir allzu gern: Warum trägt Faschismus heutzutage Baseballkappe?
„Ich denke jetzt an die Spuren, die ein Mensch in dem kleinen Raum hinterlässt, darin er sich tagtäglich bewegt.“
Paul Valéry, „Monsieur Teste“ (1926)
„Gregor Schneider. Welcome“, Installationsansichten (?), Haus Esters, Krefeld 2025
„Denkraum“ oder „Reflexionsraum“ nennt Schneider die verlassenen Zimmer im Gespräch immer wieder: wo Wohnung wieder Museum, wo Lebensraum in typischer Manier des Künstlers wieder begehbares, befremdliches Kunstwerk geworden ist.
Künstlerrahmen für Gedanken
Und es stimmt ja wirklich: Mit dem Eintritt in diese eben doch unheimlich fremde Welt stehen gleich die Fragen mit im Raum und schauen sich mit uns Dreien von der KunstArztPraxis staunend um. Fragen nicht nur zur Innenwelt vorm Fenster, sondern auch zur Außenwelt dahinter.
Fragen zu Identität und Heimat, Politik und Kunst, Privatzone und öffentlichem Raum, abstrahierter Realität und Alltagsträumereien. Fragen, die zu Geschichten werden können, auch zu fiktiven. Die sich in der nunmehr unbehausten Leere dieser Künstlerrahmen aus je vier Wänden weiterspinnen.
Zumindest uns ist das so ergangen.

War Haus Esters der syrischen Familie nicht nur Durchgangs-Lager, sondern neue Heimat? Gab die Architektur Mies van der Rohes ihr Behaglichkeit?
Wie mag sich das Mädchen gefühlt haben, wenn es aus dem Kinderzimmer aufs Trottoir der Wilhelmshofallee getreten ist, in deren altbacken schwülstigem Villenprunk auch Haus Esters und Haus Lange nach wie vor Fremdkörper sind?
Oder umgekehrt: Wie skeptisch oder angsterfüllt haben die Millionäre der Wilhelmshofallee durch die Fenster ihrer Eigenheime auf die neuen Zwischenmieter im Haus Esters geblickt, die hier so deplatziert gewirkt haben müssen wie, sagen wir: Plüschmöbel in einer Bauhaus-Villa?

War die Familie, von der auch ein Namensschild an der Museumsfassade geblieben ist, hier draußen in der absoluten Fremde wirklich „welcome“?
In einem Land, in dem vor gefühlten Ewigkeiten syrische Herkunft und „Willkommenskultur“ zwei Seiten derselben Medaille waren – und in dem die Stimmung seitdem komplett gekippt zu sein scheint? In dem sich der Faschismus mit den überkalten Augen Alice Weidels wieder hämisch feixend wohnlich eingerichtet hat?
Kann man dem Künstler – und sich selber – trauen?
Und: Gibt es das Mädchen, das seinen rosa Haarreif im Haus Esters – nicht im Hause Esthers! – vergessen hat, dessen kaputte rosa Perlenkette auf dem Fensterbrett einsam hinter der Gardine seines ehemaligen Kinderzimmers liegt – gibt es dieses Mädchen wirklich?


Und, schnell auch in uns hineingehorcht: Ertappen wir uns vielleicht doch auch ein wenig dabei, exotistischen Voyeurismus zu betreiben? Ist da in unserem Innern doch so eine Art entkernte Völkerschau? Dürfen wir das, was wir in Haus Esters sehen, ebenso kitschig finden wie das Interieur unserer Elternhäuser im Sauerland?
DIESE Gedanken hätten nun wiederum wir gerne mit der roten Farbe Karin Kneffels fett durchgestrichen. Aber auch DIESE Gedanken hat Gregor Schneiders ambivalentes Kunstwerk uns entlockt.

Mit „Welcome“ hat Gregor Schneider etwas Neues versucht – und ist sich trotzdem treu geblieben. Das, finden wir, hat er richtig gut gemacht.
Und dann trifft drinnen doch noch schwulstige Gemütlichkeit auf abstrakte Moderne: In jenem Raum, in dem Sarah Morris 2023 ihr Kunstwerk mit dem hübschen Titel „Society is Abstract, Culture is Concrete“ direkt auf die Wand gebracht hat.
Dieses Kunstwerk durfte offenbar nicht abgehangen werden. damit hat die syrische Familie leben müssen. Und wir sind überrascht, wie wunderbar abstrakte architektonische Linie und konkretes wohnliches Ornament hier plötzlich harmonieren.
Diese Zwischenwand hat die syrische Familie in Mies van der Rohes
Raum gebaut bzw. bauen lassen. Nicht Gregor Schneider.
Wenn dies im richtigen Leben gelänge, hach ja: Dann wäre wahnsinnig viel gewonnen. (22.06.2025)

„Gregor Schneider. Welcome“ ist noch bis zum 21. September 2025 in Haus Esters in Krefeld zu sehen. Ebenso lange läuft auch „Teilweise möbliert, exzellente Aussicht“ in Haus Lange nebenan.
Anmerkung: Inzwischen haben wir die (menschenleeren) Fotos gesehen, mit denen Gregor Schneider das syrische Interieur von Haus Esters dokumentiert hat. Sie hängen, ebenfalls noch bis zum 21. September 2025, im Krefelder Kaiser Wilhelm Museum (KWM). Wir sind uns nun sehr sicher, dass man dem Künstler trauen kann.
Uns hingegen weiterhin nicht.
Haus Esters in der KunstArztPraxis:
Gegen.Bilder.Terror, 1989: Richters „18. Oktober 1977“
Homepage der Kunstmuseen Krefeld
Appendix-Appendix: Warum zwar Gregor Schneider, KI aber nicht zu trauen ist
Warum KI nicht zu trauen ist? Ganz einfach: weil sie Antworten aus ALLEM zusammenbastelt, was das Netz ihr bietet! Wir hatten zum Beispiel vergessen, wie das Werk heißt, dass im Haus Esters auch während seiner Neubewohnung nicht verhüllt wurde, weil es 2023 direkt auf die Wand gebracht worden ist. Also fragten wir Google: „Welches Kunstwerk ist im Haus Esters direkt auf die Wand gebracht?“.
Antwort Google-KI: „Im Haus Esters gibt es kein einzelnes Kunstwerk, das direkt auf die Wand gebracht wurde. Stattdessen ist das Konzept des Raumes selbst ein Kunstwerk. Der Künstler Gregor Schneider hat beispielsweise ein ortsspezifisches Projekt geschaffen, das den Ausstellungsraum selbst verändert, ohne ein konkretes Kunstwerk auf die Wände zu bringen.“
Derweil fiel uns ein, dass dieses Kunstwerk ja von Sarah Morris ist. Also fragten wir Google: „Welches Kunstwerk ist im Haus Esters direkt auf die Wand gebracht? Morris“.
Antwort Google-KI: „Im Haus Esters in Krefeld wurde ein Wandgemälde von Sarah Morris direkt auf die Wand gebracht. Dieses Werk, ‚Society is Abstract, Culture is Concrete‘, gehört zur ‚Sound Graph‘-Serie der Künstlerin. Es ist eine geometrisch-abstrakte Darstellung eines Satzes, der sich auf die Architektur von Mies van der Rohe und die Bedeutung von Stadtplanung bezieht.“
Ja, was denn nun, KI? Dir ist ja WIRKLICH nicht zu trauen!! Da setzen wir doch lieber weiterhin auf Künstlerische Intelligenz (KI).
Ach ja: Hier noch das Kunstwerk von Gregor Schneider, auf das sich die KI bezieht. Und das ist natürlich NICHT in Haus Esters, sondern in Haus Lange! Tststs, KI. Voilà:

Nur für die Akten:


Keine Fragen, Euer Ehren. Aber vielleicht hilft bei KI ja auch der Rat vom Sams?
„Du musst viel, viel genauer wünschen, Papa!“
Paul Maar, „Dicke Mädchen“-Romane
Häh? Was? Wie? Warum denn „Dicke Mädchen“-Romane? Na, weil die KI das sagt:

Wie bitte, KI? Paul Maas hat „Dicke Mädchen“-Romane geschrieben?

Also doch nicht, KI? Aber:

Hach, köstlich, Wir könnten mit dieser mittels KI irgendwann sicher zu perfektionierenden literarischen Technik der „Mythenmetzschen Abschweifung“ EWIG so weitermachen! Aber die KI ist fürs Erste mal verstummt. Auf Dich ist WIRKLICH kein Verlass.
Aber trotzdem Danke für den Hinweis auf die „Body Positivity“-Seite „Marshmallow Mädchen“ unter deiner Verlasslosigkeit, Google-KI! Das hilft uns Frauen weiter.
Und damit zurück zum Anfang, zum Damen-Zimmer im Haus Esters:

Und gemütlich sicher auch.
Wieder mal was Messerscharfes aus der KunstArztPraxis. Man kann euch gar nicht genug loben. Das, was Ihr macht, ist vmtl. sogar weltweit einmalig. Chapeau. Euer Frankie
guten tag, liebe KunstArztPraxis…
ja, das ist eine besondere ausstellung von gregor schneider. was ich verwirrend finde, ist der fehlende geruch in den räumen. hier duftet nichts nach kardamom, kümmel oder safran. hier riecht es – gerade in der küche – nach NICHTS! aber hier hat doch eine mehrköpfige familie gelebt (und wohl auch gekocht und gegessen).
Antwort KunstArztPraxis: Klug bemerkt, lieber Herr Theewen! Und wir sind uns böse, dass uns das nicht aufgefallen ist. Wo doch zu den Spuren eines Menschen im Raum Düfte unbedingt dazugehören. Ihre KunstArztPraxis
Ein wunderbarer Artikel. Fragen über Fragen, die sich mir auch stellten.Und manche, auf die man gebracht wird. Alle Gedanken sind erlaubt oder?
Antwort KunstArztPraxis: Ja, liebe Frau Goris. Alle Gedanken sind erlaubt. Ihre KunstArztPraxis