Die Wachstumskurven der Katja Novitskova
Gerade hat Katja Novitskova im Museum für Gegenwartskunst (MGK) in Siegen eine in unseren Augen sehr überzeugende Solo-Schau. Wir verfolgen ihren Werdegang schon seit vielen Jahren. Und beschreiben aus beiden Gründen hier einfach einmal die mit ihrem Werk verbundenen Wachstumskurven.
2015 machten wir gemeinsam mit dem TV-Magazin „WestArt“ eine Multimediareportage zur 49. Art Cologne. Wir wollten gute Kunst von jungen Künstler*innen zeigen, der WDR lieber etwas über die „Stars von morgen“ sehen.
Also wandelten wir mit dem damals schon sehr coolen Direktor Daniel Hug durch seine noch kojenleeren Messehallen und sprachen beim Wandeln über marktgerechte Geheimtipps mit dem Zeug zur Museumsreife. Man muss ja manchmal Kompromisse machen.
Hug nannte Max Frintrop, Peppi Bottrop, Carmen Brucic und Jan Pleitner als vielversprechende Newcomer*innen: Beweis für sein Gespür. Und eben Katja Novitskova, die wir deshalb in den nun kojenvollen Messehallen eine Woche später wiedertrafen.
Wie erinnern uns noch gut an die erste, eher schüchterne Begegnung; an ein leider viel zu kurzes Gespräch; und an eine im lärmenden Gewusel verloren hin und her schwingende, minimalistisch anmutende Babyschaukel, die mit Kabelschläuchen, Hartplastik-Decken und Fischködern als Beruhigungs-Mobile zu einem insektenhaften Alien mutiert war.
Ach ja: An Katja Novitskovas absurde Wachstumsgraphen, in deren Plastik-Laminierungen Fliegen eingeschweißt waren wie urzeitliche Mücken in Bernstein, erinnern wir uns auch.
Seitdem haben wir Katja Novitskova nicht mehr aus dem Blick verloren. Wir trafen sie auch persönlich wieder, unter anderem 2019 im Marta Herford, das drei Jahre später mit Hilfe von uns gut bekannten edlen Spendern – auch aus der KunstArztPraxis, nochmals: Danke! – die Skulptur „Approximation (Biobanks)“ (2022) von ihr erwarb.
Das Lächeln ist sich treu geblieben
So konnten wir miterleben, wie die Wachstumskurve von Katja Novitskovas Karriere seit ihrer „Geburt als Sternchen auf dem Kunstmarkt“ (WDR) stetig nach oben ging – den Nam June Paik Award (2016) sowie ein Beitrag für ihr Heimatland Estland zur Biennale 2017 in Venedig inklusive.
Dabei glauben wir auch erkannt zu haben, wie Katja Novitskova als Künstlerin immer selbstbewusster und immer besser wurde. Ersteres spiegelt sich nicht nur in den mit ihr geführten, später auch längeren Gesprächen: Es spiegelt sich, wie wir finden, auch in unseren Porträts des Zeitraums wider. Und dies, obwohl das verhaltene Lächeln aus den Mundwinkeln heraus merkwürdigerweise komplett gleichgeblieben ist.
Gerade läuft im Museum für Gegenwartskunst (MGK) in Siegen mit „Augen der Welt“ Katja Novitskovas erste Retrospektive in Deutschland, und wenn man deren flattrige, erstaunlich fortschrittsgläubige, weil: immer nach oben zeigenden Graphen tatsächlich einmal biografisch deuten will, dann geht die Karriere der Künstlerin tendenziell weiter steil nach oben.
Auch die Babyschaukel-Aliens sind in Siegen wieder da. Inzwischen sind sie aber noch insektenhafter, vor allem aber: noch komplexer und vielschichtiger, ja: auch museumsreifer geworden, so wie Novitskovas gesamtes Werk.
Sie schaffen das!
In der visuell mit Ruhe und Erregung arbeitenden Schau in Siegen stehen Novitskovas Schaukeln in einem vollgestopften, licht-schatten-dramaturgisch überreizten Raum, in dem sie sich gegen die Konkurrenz aus den eigenen Reihen behaupten müssen.
Und, was sollen wir sagen: Sie schaffen das! Sie sind selbstbewusst und gut genug dazu.
Nach Betrachtung von „Augen der Welt“ können wir mit Fug & Recht behaupten, dass wir Katja Novitskovas Arbeit auch nach all den Jahren teils intensiver Betrachtung immer noch frisch & klasse finden.
Uns imponiert die Stringenz – vulgo: Nachhaltigkeit –, mit der sie aktuelle Themen unserer globalen Gegenwart in unverwechselbaren, mehrdeutigen, nur auf den ersten Blick simplen Bildern verdichtet – und im selben Atemzug unsere emotional aufgeladene Wahrnehmung von Bildern hinterfragt.
Aber dazu haben wir an anderer Stelle ja schon sehr viel geschrieben.
Inzwischen geht es in diesen ausdifferenzierten Werken auch um KI. Das gab es 2015 bei Katja Novitskova unserer Erinnerung nach so noch nicht. Aber auch diese Sensibilität für neue, sozial wie existentiell wichtige Gegenwartsphänomene gehört zu den steilen Graphen dieser Künstlerin, zu ihrer inneren Wachstumskurve, unbedingt dazu.
Ein Resümee nach sieben Jahren
Im Rückblick haben wir damals mit unserem Wunsch nach guter junger Kunst bei den Werken von Katja Novitskova also aufs richtige Pferd gesetzt. Genauso wie der WDR mit seinem Wunsch nach den „Stars von morgen“.
Manchmal gehen Marktgerechtigkeit und Museumsreife, äußere und innere Wachstumskurven halt doch zusammen. Auch ohne irgendwelche faulen Kompromisse. (03.12.2023)
„Katja Novitskova. Augen der Welt“ ist noch bis zum 14. Januar 2024 im Museum für Gegenwartskunst (MGK) in Siegen zu sehen.
Das MGK Siegen in der KunstArztPraxis:
Katja Novitskova: Die glücksberaubten Pinguine
“Meine Juden”: Miriam Cahn im MGK Siegen
Mariana Castillo Deball: Im Museum der Zukunft
Mehr als heiße Luft: “Die Wolken und die Wolke” in Siegen
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