Wie, „Maestras“? Auch Frauen konnten malen???
Auch Frauen konnten malen – und das sogar schon vor über 700 Jahren. Irgendwie haben wir das immer schon befürchtet. Aber muss man uns das in „Maestras“ im Arp Museum Bahnhof Rolandseck auch noch vor Augen führen? Diese Zumutung ist ja nun wohl wirklich nicht nötig. Oder?
Seit ein paar Jahren müssen wir Männer mal wieder sehr stark sein, denn alle Naslang zaubert von irgendwoher irgendeine Frau eine andere Frau aus dem Hut, die in der Kunstgeschichte schneller besser weiter war als wir.
Dass die gerade im K20 in Düsseldorf gezeigte – ähem: in unseren Augen eher blasse – Hilma af Klint das erste rein abstrakte Bild gemalt haben solle und nicht der – parallel gezeigte, im Übrigen viel bessere! – Kandinsky, konnten wir zum Glück durch eine Sèance mit der Malerin gerade nochmal widerlegen.
Und den Kommentar unter unseren fünf Readymades für Marcel Duchamp, der doch glatt behauptet, wir würden „sexistische Geschichtsklitterung“ betreiben: schließlich habe nicht Duchamp das Readymade erfunden, sondern die Dada-Künstlerin Elsa von Freytag-Loringhoven, haben wir bis heute erfolgreich verdrängt.
Aber gerade läuft im Arp Museum in Remagen eine erschreckend erfolgreiche Ausstellung, die illustriert, dass Frauen sogar im Mittelalter schon malen konnten! Und das können jetzt sogar wir drei alten weißen Männer von der KunstArztPraxis nicht mehr ignorieren.
Weil: Es gibt ja Beweise. Von 51 Malerinnen. Wir haben sie gesehen! Es macht uns sprachlos. Seufz.
Was sollen wir sagen?
Was sollen wir sagen? Wir sagen es natürlich äußerst ungern, aber es ist leider wahr: Es sind wundervolle Werke darunter. Da gibt es ein ganz zauberhaftes Miniatur-Selbstporträt von Sofonisba Anguissola, von der laut Vasari sogar Michelangelo begeistert war!
Man müsste schon die letzte echte Männlichkeitsdomäne besetzen, also: Papst sein*, um vor DIESER Autorität des Göttlichen nicht einzuknicken.
*also in diesem Fall: Julius II.
Und auch die Stillleben von Giovanna Garzoni – diese Kirschen, diese Bienen! – oder von Rachel Ruysch stehen denen ihrer Kollegen blöderweise in nichts nach.
Ruyschs meisterliches Detail einer Echse, die ein Vogelei ausschlürft, hat uns besonders gut gefallen. Es erzählt von einem Augenblick, in dem das Leben in EINEM Atemzug sowohl bewahrt als auch vernichtet wird. Und sagt als Sinnbild damit mehr über die Natur, ihr Werden und Vergehen, als tausend Worte.
Das muss der Neid Rachel Ruysch lassen.
Vielleicht gibt es auf einem Teil der Bilder sogar so etwas wie einen „typisch weiblichen Blick“? Die Ausstellung lässt das offen, aber uns scheint es, als wäre das bei der innigen Versunkenheit von Marie-Louise Petiets „Wäscherinnen“ (1882) tatsächlich so.
Aber wir wollen uns natürlich auch nicht ins Fettnäpfchen setzen. Unsere geschlechtssensible Gegenwart ist da ja sehr empfindlich.
Auf jeden Fall rückt bei den Malerinnen des 19. Jahrhunderts neben diesem sozialen Fokus auf das Weibliche auch das Motiv der Mutterschaft viel stärker in den Fokus. Hat je ein Mann eine Frau, die keine angehimmelte Madonna war, derart zärtlich & intim & losgelöst von jedem Hintergrund stillend gemalt wie die – ausnahmsweise mal bis heute unvergessene – Impressionistin Mary Cassat ihre Freundin Louise Fissier de Fresnaux?
Und dann gibt es, zu allem Überfuss, auch noch eine hübsche kuratorischen Pointe – und zwar von einer Kuratorin: Über zwei Gemälden thront nämlich ein auf die Malerei bezogener Satz, den die Barockkünstlerin Artemisia Gentileschi an einen ihrer Mäzene schrieb: „Ich werde Ihnen zeigen, wozu eine Frau fähig ist“, steht da.
Und darunter hängen zwei Gemälde aus dem 16. Jahrhundert – eines von Lavinia Fontana, das andere von Fede Galizia –, auf denen die alttestamentarische Heldin Judith mit dem gerade von ihr vom Rumpf getrennten Kopf des assyrischen Feldherrn Holofernes zu sehen ist. Vermutlich sind beides Selbstporträts, das spräche Bände.
Ja, auch DAZU sind die Frauen fähig, denkt man sich da als Männer. Und schluckt.
Was wir an dieser Stelle verschweigen wollen
Egal. Es ist trotzdem ein witziger Einfall, wir haben schmunzeln müssen, zefix! Es ist zum Mäusemelken.
Und dass Lavinia Fontana ihren Mann per Ehevertrag dazu verpflichtete, sich um den Haushalt und die Kindererziehung zu kümmern, während sie das Geld verdiente & überaus erfolgreich war, verschweigen wir an dieser Stelle lieber auch.
Natürlich bringen wir es trotz dieser Verführungskünste nicht übers Herz, „Maestras“ zu empfehlen. Wir sind ja schon für Emanzipation, aber das Geniale müssen wir nicht auch noch mit den Frauen teilen! SO stark muss man als Mann nun wirklich nicht sein.
Zum Glück läuft die Ausstellung nur noch eine Woche. Und die männlich dominierte Kunstgeschichte hat ja auch gezeigt, dass sie es versteht, selbst die zu Lebzeiten verehrten Malerinnen nach ihrem Tod systematisch zu vergessen. Die Ausstellungsgeschichte übrigens auch. Vor rund 50 Jahren gab es nämlich schon mal eine erschreckend erfolgreiche Schau, die ein ähnliches Thema hatte: „Women Artist: 1550-1950“, in Los Angeles. Und? Eben. Perdü.
So wird vermutlich auch die erschütternde Erkenntnis der leider tollen Schau „Maestras“ beruhigenderweise wieder im historischen Hut verschwinden. Dann kräht danach kein Hahn mehr. (09.06.2024)
Die von Susanne Blöcker kuratierte Ausstellung „Maestras. Malerinnen 1500-1900“ ist noch bis zum 16. Juni 2024 im Arp Museum Bahnhof Rolandseck in Remagen zu sehen. Aber, wie gesagt: nicht hingehen. Wir wiederholen: NICHT hingehen!!!
Anmerkung: Weil wir eben oben schon von der Dadaisten Elsa von Freytag-Loringhoven gesprochen haben: Vom 7. Juli 2024 bis 12. Januar 2025 läuft im Arp Museum die Ausstellung „der die DADA. Unordnung der Geschlechter“, die sich der bisher unterschätzten Rolle von Künstlerinnen in der Strömung verschrieben hat. Und natürlich spielt da auch Elsa von Freytag-Loringhoven eine tragende Rolle. Da können selbst wir dann nichts mehr verdrängen.
Das Arp Museum in der KunstArztPraxis:
Unser Totem: der Wolf. Kiki Smith in Remagen
Die Haut der Seele: Berlinde De Bruyckere in Remagen
Was die Natur vergaß: Christiane Löhr in Remagen
Paula Modersohn-Becker in Remagen: Frau = Birke
Stella Hamberg: Kraft und Sinnlichkeit
Überall Tatoos: Franziska Nast in Remagen
Freiheit durch Weglassen: Rodin und Arp in Remagen
Wir sind geheilt! “Goldene Zeiten” in Remagen
Warum überflüssig? “Luxus und Glamour” in Remagen
Homepage des Arp Museums Bahnhof Rolandseck
Anmerkung: Zum Schluss sei noch gesagt: Als Frau war Artemesia Gentileschi zu noch mehr fähig als Lavinia Fontana und Fede Galizia. Während auf deren in „Maestras“ gezeigten Judith-Porträts weibliche Grausamkeit in Grazie & Anmut etwas untergeht, ist Gentileschis zweite Version von „Judith und Holofernes“ ein dramatisches Abschlachtgemälde. Da spritzt das Blut wie beim (im Übrigen lange Zeit ebenfalls vergessenen!) Caravaggio. Schluck.
Liebe alte weiße Männer, ihr seid stilistisch vom Feinsten. Muss ich jetzt einfach mal loben. Bin mehr oder weniger zufällig auf eure Website gestoßen. Texte über Kunst zu schreiben ist nicht schwierig, weil meistens sinnentleert. Aber eure Texte sind wirklich gut. der einzige Schatten, der auf euch fällt, ist eure regionale Bezogenheit auf NRW. Hier in München wird es bald schneien.
Antwort KunstArztPraxis: Jetzt sind wir alten weißen Männer doch tatsächlich ein wenig rot geworden – herzlichen Dank! In München sind wir auf Betriebsausflügen immer wieder gern, auch an diesem Wochenende. Möge es aus Kübeln schneien. Ihre KunstArztPraxis