Morsbroich, zu vermieten: Hexenhaus mit Schlossblick!
Eigentlich hängen wir keine Mietangebote ans Schwarze Brett im Wartezimmer unserer KunstArztPraxis. Aber bei Mark Dions Hexenhaus machen wir eine Ausnahme: Da waren wir exklusiv beim Inneneinrichten dabei! Das „Witches Cottage“ ist Wohnstätte, Skulptur, Vitrine und Forschungsstation zugleich.
Bekanntlich ist das Wissen vom Hausbau der Hexen verlorengegangen. Aber es spricht vieles dafür, dass sie in grauer Vorzeit ihre windschiefen Wohnstätten eigenhändig errichtet haben.
Nach heutigem Forschungsstand waren Hexen nicht nur Besenmacher-, Rabenbändiger-, Giftmischer- und Liebestrank-Brauerinnen, sondern auch Ofenbauer- und Fassadenbäckerinnen in Personalunion. Sogar die Frühwarnsysteme für knuspernde Kinder sollen sie persönlich in die Lebkuchenwände ihrer Behausungen eingelötet haben.
Aber das war einmal. Hausbaukenntnisse oder Hausbauzauber haben die Hexen von damals ihren Nachfolgerinnen nämlich schlichtweg zu überliefern vergessen. Und den Märchen kann man in dieser Frage überhaupt nicht trauen.
Dubiose Booking-Portale im Darknet?
Heutige Hexen wohnen deshalb in Tiny Houses möbliert zur Miete. Ihre Wohnstatt finden sie vermutlich über dubiose Booking-Portale im Darknet: Hier werden die Hexenhäuser von zwielichtigen Makler*innen zumeist mit komplettem Haushaltsinventar offeriert.
So gesehen ist Mark Dions vorbildlich ausgestattetes „Witches Cottage“, das gerade in Leverkusen entsteht, auch ein Beitrag zur Legalisierung des Hexenwohnungsmarkts. Aber es ist natürlich künstlerisch weit mehr.
Mark Dion hat schon vieles gebaut. Eine Bibliothek für Vögel zum Beispiel. Oder einen Jahrmarkts-Hochsitz-Schießstand für verspielte Jäger. Ein Heim für Ethnographen; eine Höhle für künstliche Bären; eine Beobachtungsstation für dilettantische Ornithologen; oder ein Museum für geteerte Tiere. In den meisten dieser Bauten waren wir persönlich drin und/oder bei der Fertigstellung mit dabei.
Wie jetzt beim Aufbau des „Witches Cottage“. Sieben Jahre hat das speziell für den Schlosspark des Museums Morsbroich entwickelte Projekt von der Idee bis zur Realisierung gebraucht, und, was sollen wir sagen: Es ist gelungen. Da müssten wohnungssuchende Hexen jetzt eigentlich Schlange stehen.
Von außen ist das „Witches Cottage“ ein windschiefer Bau in der Art jener englischen „Follys“, die sich reiche Exzentriker zur teils mit Eremiten oder Schäfern bewohnten Zierde in ihre weitläufigen Gartenanlagen setzten. Aber eingerichtet ist die Hütte nach den regionalen Bedürfnissen hiesiger Hexen.
Es sollen ja keine Migrationsbewegungen von Zauberinnen aus Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern losgetreten werden, deren Magie dann in diesen Bundesländern schmerzlich fehlt.
Bestückt nach Dions Wunschliste
Die Freudinnen des Museums, die sich ehrenamtlich um den Museumsshop kümmern und aus dessen Erlösen das Projekt zum Gutteil finanzierten, haben die Gegenstände nach einer Wunschliste Dions (und teils auch mit seiner Hilfe) auf Flohmärkten und in Online-Auktionshäusern zusammengesammelt.
Bis Ende August war diese Inneneinrichtung in der Ausstellung „spielzeit #1“ im Museum Morsbroich zu sehen – wir berichteten. Jetzt sind die dortigen Wunderkammer-Schränke leer: Die Haushaltsobjekte hocken im Hexenhaus und warten.
Wie schon gesagt: Wir durften beim Bau und bei der Einrichtung dabei sein. Wir haben mit den Baudamen, Handwerkern und Schreinermeistern gesprochen. Und mit Mark Dion natürlich auch. Wir waren auch beim Richtfest. Es war sehr schön. Wir danken für Speis und Trank.
Über drei Stunden sahen wir Dion dabei zu, wie er mit Unterstützung besagter Baudamen Gegenstände neu sortierte, in Post-Kisten aus dem Schloss zum Hexenhaus hinübertrug und – in teils akrobatischen Kapriolen unter dem Spitzdach der getrockneten Kräuter – dort in spezieller Ordnung neu drapierte.
Lage, Lage, Lage!
Allen interessierten Hexen aus dem Rheinland können wir sagen: Das Haus ist solide gebaut, es sollte Hunderte von Jahren halten. Es gibt einen Kamin zum Brauen und Apparaturen zum Spinnen und Karten zum Zaubern. Für Käfige und Fallen ist ebenso gesorgt wie für alte Laborgeräte, Fossilien, seltene Mineralien, einen Grundbestand an ausgestopften Tieren und ein menschliches Skelett.
Und – Lage, Lage, Lage! – vom Fenster überm Bett schaut man nach dem nächtlichen Aufwachen direkt aufs dann hoffentlich beleuchtete Schloss.
Das ist bezaubernd, aber kein Wunder, denn Mark Dion kennt sich aus mit der Thematik. Er ist nämlich mit einer echten Hexe verheiratet – das hat er uns selbst erzählt! Und beim Präparieren menschlicher Knochen und moderner Apothekergläser kam nachweislich alchemistisches Fachwissen zum Einsatz. In kürzester Zeit wurden Dinge dank geheimnisvoller Tinkturen um Jahrhunderte älter – das haben wir selbst gesehen.
Das Bett ist sehr klein!
Interessierte Hexen aus dem Rheinland sollten übrigens nicht nur belesen, sondern an Kräuterkunde und Hausmedizin ebenso interessiert sein wie an deutscher Rechtschreibung. Sie sollten orthopädisch das Rüstzeug haben, um im Sitzen zu schlafen (das Bett ist sehr klein!). Und sie sollten kein Problem damit haben, dass hin und wieder Besucher des Schlossparks durch die Fensterscheiben lugen.
Denn wie so oft bei Dion ist das „Witches Cottage“ nicht nur Behausung, Skulptur und Vitrine, sondern auch eine veritable Forschungsstation. Es geht nicht zuletzt darum, etwas von unserem narrativen Wissen über Hexen in ihrer natürlichen Umgebung zurückzugewinnen. Oder eben ganz neue Geschichten dazuzuerfinden – wobei wir gerne helfen.
So ist das „Witches Cottage“ auch ein magischer Behälter für das kollektive Sammelsurium unserer eigenen Phantasien.
Ach ja: Das Museum wünscht sich friedliche Mieterinnen! Bewerbungsunterlagen bösartiger Hexen werden im Vorfeld gnadenlos aussortiert. Selbst eine Elternbürgschaft des Teufels persönlich fällt nicht positiv ins Gewicht.
Von wütenden Schadens- und Rachezaubereien aller Art bittet die Museumsleitung ausdrücklich abzusehen.
Alle anderen Hexen schicken Mietanfragen bitte mit gültigem Wohnberechtigungsschein und legitimierenden Arbeitsproben an Mark Dion, c/o Museum Morsbroich, Leverkusen. Mit der richtigen Zustell-Beschwörung kommt das sicher an.
Oder einfach per Eulen-, Bussard- oder Eichelhäher-Post.
(12.09.2022)
Mark Dion in der KunstArztPraxis:
Zukunft mit Einhorn: “spielzeit #1” in Leverkusen
Neue Routen durch die Sammlung: „Marta Maps„
Nach der wirklich wunderbaren Entstehungsgeschichte dieses Hexenhauses und dem hier unwiderstehlich aufgesetzten Mietangebot sind wir gestern Abend aus Aachen zur Wohnungsbesichtigung mit Taschenlampe gefahren.
Zuflucht suchende Hexen mögen Besichtigungstermine im Dunkeln – das tagsüber draußen Gesammelte lässt sich nach Dämmerung innen schön studieren.
Ihre Annonce hält, was sie verspricht. Mehr noch, das Haus ist außen und innen umwerfend charmant gestaltet: Es liegt geschützt und doch leuchten die verschieden-eckigen Fenster allen Neugierigen schon vom Wasserspiel aus entgegen. Es gibt von und in allen Ecken „hömmele“(unzählig) Interessantes/ Schönes/ Verblüffendes (Schädel/Federn/Fleischwolf) zu entdecken. Und, nicht zuletzt, es riecht gut (nach Holz, Leinöl und den aufgehängten Wildkräutern).
Die erfeuliche, informative Emsländische Führung machte deutlich, dass die herrschaftliche Nachbarschaft bis auf Weiteres nichts befürchten lässt – die Schlossherren und -frauen samt Freundeskreis blicken wertschätzend und wohlwollend auf das besondere Baumhaus und die selten gesehenen Nutzerin*nen. Auch dem Winter kann sie gelassen entgegen sehen, Holz liegt hinter der Hütte und der Kamin tut’s wirklich. Mark Dions herrliche Idee ist von vielen helfenden Händen nachhaltig umgesetzt – und traumhaft schön.
PS: Falls der Hexe Sybill Trelawney in Schottland Heizung und Hypothek zu teuer werden, bin ich hoffnungsvoll, dass die rheinische Bewohnerin ihren Kaminplatz und das kleine Bett gern eine Weile mit der spannenden schrägen Kollegin teilt.
Eine herrliche Haus-Annonce,
vielen Dank und herzliche Grüße
von der Skelett-Pinselerin 🙂
Antwort KunstArztPraxis: Dann wird es Sie vielleicht freuen, dass wir in ein paar Tagen zum Thema etwas nachschieben werden. Es gibt beim „Witches Cottage“ nämlich Neuigkeiten!!! Ihre dankende KunstArztPraxis