Düsseldorf: Romantik, post mortem – “Only Lovers Left”
Darf man heutzutage trotz Putin, Trump und Weidel noch romantisch sein? Und was bleibt von der epochalen Romantik nach ihrem traurigen Ende? “Only Lovers Left” in der Kunsthalle Düsseldorf gibt darauf eine bestechende Antwort, wie wir finden. Mit Mut zum Kitsch. Und über den Tod hinaus.
Vor Ewigkeiten hat Einer von uns mal die Kindergeschichte “Der Vampir im Kleiderschrank” für den Bayerischen Rundfunk geschrieben, aber selbst er muss neidlos anerkennen, dass Jim Jarmuschs unheimlich belesene Vampirfilm-Erzählung “Only Lovers Left Alive” (2013) mit der zauberhaft überirdischen Tilda Swinton als Eve um Längen besser ist.
Wir möchten die Ästhetik des Films hier postmodern-romantisch oder: Romantik post mortem nennen.
Denn Jarmusch nutzt die Raum-Zeitlosigkeit der zwischen Orient und Okzident pendelnden Untoten, um nicht nur die Niemandstage der Verliebtheit, sondern auch das unaufhaltsame Aussterben der Dinge & Kulturen in unserer furchtbar blutlosen, ruinös kapitalistischen, digital globalisierten Gegenwart einzufrieren.
(Bild: Wie gemalt: Tilda Swinton im Blutrausch in “Only Lovers Left Alive”, 2013. Bei Jarmusch wirkt der besondere Saft nämlich als Droge. Deshalb gibt es sogar Blutkonserven-Dealer.)
Von jenen bis in unsere Generation hinein als unsterblich geltenden Literat*innen zum Beispiel, die als eine Art Ahnen-Galerie in der Wohnung des nostalgischen Musik-Vampirs Adam (Tom Hiddleston) im industriell verfallenen Detroit hängen, kennt in der internetsüchtigen Generation unserer Kinder kaum mehr eine*r Eine*n.
An Jarmuschs bis in Ausstattung & Colouring grandiosen, trotz aller Nostalgie am Puls der Zeit pochenden Film haben wir denken müssen, als wir in der in Ausstattung & Colouring grandiosen Ausstellung “Only Lovers Left” der Fotografin Margarete Jakschik und des Malers Friedrich Kunath in der Kunsthalle Düsseldorf waren.
Zunächst einmal natürlich wegen des Titels, der sogar das Überleben noch wegküsst.*
*Hier hatten wir “wegkürzt” geschrieben, aber die Autokorrektur
hat “wegküsst” draus gemacht – hach, die Romantik der KI!
Auch wenn das Künstler-Ehepaar versichert, ihre Schau VOR der Seh-Erinnerung an Jarmusch Film benannt zu haben, waltet hier nämlich derselbe morbide Witz, derselbe (natürlich ironisch gebrochene) Glaube an die ewige Liebe. Sprich: dieselbe postmoderne Romantik.
Also: jene eher liebevolle als verbissene, zum Kitsch hin offene Romantik post mortem, der auch wir “Zombies” (O-Ton Jim Jarmusch) von der KunstArztPraxis verfallen sind.
Das springende Tüpfelchen auf dem “i” ist ein Delfin
Da umarmen sich zwei Grabkreuze in ewiger Zuneigung vor einem Sonnenuntergang am See, andernorts zwei in der Überflutung allein zurückgelassene, verliebte Palmen. Ein Frauenskelett schmiegt sich anhimmelnd an Clavicula & Sternum (vulgo: Schlüssel- & Brustbein) eines coolen Gerippe-Mannes: weil das trotz der anatomisch ununterscheidbaren Knochenlage bekanntlich die geschlechtspezifische Klischee-Haltung allen Fleischlich-Amourösen ist.
Denn: Warum um Himmels Willen sollte ausgerechnet der coole Mann sich schmiegen?
Das alles stimmt uns hoffnungsfroh.
Da macht es auch nichts, dass das Sicherheits-Erdmännchen auf dem herbstlaubbeschneiten Tenniscourt ins Wach-Koma gefallen ist, die vogelfreien Gedanken zusamt dem Kopf in einem Käfig stecken und ein losgelassener Neon-Helium-Luftballon den Betrachter*innen über seine Schnur vermitteln lässt, dass man ihm bitte nicht folgen solle, weil er verloren (“lost”), dem Ende nahe sei.
Wie wundervoll romantisch!
Denn nach dem Ende geht es weiter, wir können es in Düsseldorf ja sehen: Über den Wassern aller Bilder schwebt hier trotzig, quasi als letzter Wille, “My Will to Live Again” – mit einem springenden Delfin, der das “i” wegküsst.
Hach. Wie schön. Und so wundervoll romantisch. Putin, Trump und Weidel zum Trotz.
Letztendlich feiert die Düsseldorfer Schau, in der die Motive wie Wiedergänger immer zurückkommen, in der das Werk der Eheleute Jakschik & Kunath sich vernetzt wie die beiden Seiten eines Tennis-Platzes, die autonome Kunst, die freie Phantasie. Mit einer Einbildungskraft, die uns über den Horizont des Logischen & Lebenden hinaus weiterführt.
Romantik post mortem eben.
Deshalb werden die Schnürsenkel von Sport-Schuhen zu stilisierten Vögeln, die durch die Kunsthalle flattern wie die von Spaziergängern aufgescheuchten Eichelhäher im Tannenwald. Deshalb schwebt ein exotischer Papagei Zigarette rauchend durch eher tropisches Terrain.
Sogar die Gemälde heben an der Balustrade ab wie der Vampir nach der Verwandlung in eine Fledermaus – oder wie ein Flugzeug von der Start- und Landebahn.
Wobei wir wieder bei Jarmuschs “Only Lovers Left Alive” wären. Denn da müssen Adam & Eve – oder, wie man heutzutage sagt: Eve & Adam – bekanntlich auch die Nachtflug-Linien nutzen, um zwischen Tanger und Detroit hin- und herzupendeln.
Fledermäuse sind out, Knoblauch oder Heimat-Erde für die Reise-Särge ebenfalls.
DIESER Film strickt an anderen schwarzromantischen Legenden. Auch das hat er mit der Ausstellung in Düsseldorf gemein.
Was also bleibt von der Romantik am Ende des Weges jeglichen Fleisches – außer dem üblichen öden Sternenstaub, aus dem wir bekanntlich Alle gemacht sind? Was von der EPOCHE der Romantik, die uns hin und wieder immer noch die Sonnenuntergangs-Melancholie in die mondverträumten Augen treibt?
Das wird vielleicht am deutlichsten auf einem kleinen Gemälde, das Friedrich Kunath – passend zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich – in einer langen Bilderfolge aus Kleinformaten im Obergeschoss versteckt hat.
Don’t Look Back in Anger
Es zeigt den berühmten, um 1818 entstandenen “Wanderer über dem Nebelmeer”: aber nicht als Kopie des Originals, sondern als Kopie einer – vielleicht sogar zuvor gephotoshopten? – Kopie. Wenn wir Kunaths Hinweise auf dem Bild richtig interpretieren, dann wurde Friedrichs raumöffnender Wanderer ersetzt durch eine Rückenfigur, die vom Platten-Cover “(What’s the Story) Morning Glory?” (1995) der Britpop-Band “Oasis” inspiriert worden ist.
Und diese Rückenfigur schaut jetzt in die unendliche Landschaft wie ein innehaltender Rockstar über das Wogen seiner jubelnden Fans beim Live-Konzert. Sogar den Mikrophonständer – oder ist es doch ein Wanderstab? – können wir noch sehen.
Ob wir mit unserer Deutung wirklich richtig liegen, wissen wir natürlich nicht genau, das kann nur Friedrich Kunath sagen. Aber es gibt Indizien.
Das Label von “Oasis” jedenfalls klebt gemalt am Bild. Und bei der Band geht es ja auch um große, in Lyrics & Melodien gepresste, musikalisch gephotoshopte Gefühle.
Come back Romance!
“Come back Romance, all ist vergiven”, leuchtet es uns von der Schnur eines Neon-Helium-Mondes vor dem Firmament eines dunklen, für Vampire allerdings nicht lichtdicht genug gewobenen Sonnen-Schutzes in der Kunsthalle Düsseldorf entgegen. Oder ist die Schnur ein Lasso, mit dem der aus dem Nebelmeer steigende weiße Neger Wumbaba uns den Mond zum schwarz stehenden, schweigenden Wald heruntergezogen hat?
Auf jeden Fall schreibt so ein reumütiger Lover, der am liebsten alles wegküssen würde, was an Zwistigkeiten war. Da ist also etwas zerbrochen, das sehnsuchtsvoll gekittet werden soll, zumindest von einer Seite her: der menschlichen nämlich. Der Epoche ist der Mensch herzlich egal.
Da ist dann in Düsseldorf wieder ein Weltschmerz und eine Melancholie am Start, die der guten alten Romantik durchaus angemessen ist.
Wir zumindest finden diese Doppelbödigkeiten als Therapeutikum klasse. Und Margarete Jakschik und Friedrich Kunath sind bestimmt immer noch so verliebt wie am ersten Tag, auf ewig eben. Kann bei dieser Ausstellung gar nicht anders sein.
In diesem Sinn also: Live forever. Love forever – gerne auch jenseits unserer furchtbar blutlosen, turbokapitalistischen, digital verseuchten Gegenwart. Und, an alle postmodernen Blutsauger da draußen in der Nacht: Come out of the closets! Wie der Vampir im Kleiderschrank.
Das wünschen sich: Ihre Zombie-Romantiker von der KunstArztPraxis. (14.04.2024)
“Margarete Jakschik und Friedrich Kunath. Only Lovers Left” ist noch bis zum 9. Juni 2024 in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen.
Anmerkung 1: Ein Film namens “Der Vampir im Kleiderschrank” erscheint auch im Hörspiel “Der verschwundene Filmstar” (1989) aus der Serie “Die drei ???”. KunstArzt2 versicherte dem Rest von uns aber eidesstattlich, dass zuerst der Titel seines BR-Stücks und dann das Hörspiel-Hören gewesen sei: “Das BR-Stück entstand in den Niemandstagen der Verliebtheit. Zur Zeit des Hörspiel-Hörens hatte ich schon Kinder.” Wir glauben ihm.
Anmerkung 2: Die Autokorrektur korrigierte uns nicht nur “weggekürzt” in “weggeküsst”, sondern schlug uns auch für “Höcke” “Röcke” vor. Auch das ist ja im Grunde ziemlich romantisch.
Anmerkung 3: Stimmt das mit “Oasis”, was wir geschrieben haben, Herr Kunath? Bitte melden!!
Und hier noch 70 romantische Impressionen von Ihren Zombie-Romantikern aus der KunstArztPraxis:
“Only Lovers Left Alive” in der ARD-Mediathek (noch bis zum bis 18. Dezember 2024 – unbedingt anschauen!)
Der Vampir im Kleiderschrank (31.10.1999)
Hochromantisch! Das Caspar-David-Friedrich-Quiz
Die Kunsthalle Düsseldorf in der KunstArztPraxis:
Kunsthalle Düsseldorf: Peter Piller schafft Ordnung
Für uns von Putin eingeholt: “City Limits” in Düsseldorf
Alles fließt: “Journey Through A Body”
Reine Bildgebung (7): Polke & Co
Conrad Schnitzler: Der Mann mit dem Soundhelm
Gerhard Richter Retro: “Leben mit Pop” (2013)
Max Schulze: “Als Phantom war Polke immer da”
Homepage der Kunsthalle Düsseldorf
Anmerkung 4: Durch Zufall geriet uns eine “Besprechung” der Ausstellung in der “Rheinischen Post” in die Hände. Unter der seltsamen Schlagzeile “Schau unter dem Motto (sic!) ‘Only Lovers Left’: Düsseldorfer Kunsthalle bietet Doppelausstellung zur Romantik” wird behauptet, dass Margarete Jakschik und Friedrich Kunath “ihren Fotografen, Gemälden und Installationen der Romantik (sic!!) eben dieser “Epoche zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert widmen” würden. Dann wird erklärt, dass die Romantik eine Gegenbewegung zur Aufklärung gewesen sei. Und dann wird erklärt, was die Aufklärung von der Romantik unterscheidet. Und illustriert wird das Ganze mit dem Foto einer Ausstellung, die irgendwann vorher mal “in der Kunsthalle beheimatet” (sic!!!) war. Quo vadis bitteschön Kunstkritik?
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