Poetisch & Politisch. „Paper / Elements“
Feuer, Erde, Wasser, Luft: Mit teils spektakulären Werken zeigt die Villa Zanders noch bis Anfang Juni 2025, wie unterschiedlich sich 40 Künstler*innen mit den Elementen auf und durch Papier auseinandergesetzt haben. Ausgerechnet eine der unscheinbareren Arbeiten ist für uns indes das Werk der Stunde.
Wenn man das will, dann kann man in Bergisch Gladbach gerade unter den Sternen eines riesigen Firmaments aus phosphorisierendem Transparent-Papier wandeln.
Man kann aber auch von oben herab ins Innere von Planeten aus Packpapier blicken. Oder man sieht einfach der Zeit beim Verbrennen zu: eingefroren auf – teils mitverbranntem –Pergament.
Und in einem anderen Raum, vermutlich auch in einer anderen Zeit, erhebt sich die Landschaft von Worpswede aus gepressten Servietten-Stapeln unter Plexiglas.

Wolfgang Mally, „Quantität Zeit 1-100“ (1977/1978, Detail)

Also: WIR sehen die Birken! Und das Teufelsmoor! Und die wandernde Sonne.

Schwarze Blöcke, weiße Zeilen
In unseren Augen ist das zum Teil schon ziemlich spektakulär, was das Kunstmuseum Villa Zanders da für „Paper / Elements“ aus seinen eigenen Beständen aufgefahren hat. Man kann sich nur wundern, was Künstler*innen mit Papier so alles zaubern können.
Und trotzdem ist eines der unscheinbarsten Blätter für uns die Kunst der Stunde.
Dieses Blatt hängt als Teil einer Serie von sechs Arbeiten eher unscheinbar an einer Wand. Es besteht aus drei komplett schwarzen Blöcken, die in Gänze ein wenig aussehen wie eine Batterie. Dazwischen sind schmale weiße Streifen mit insgesamt sechs Wörtern.
In einem steht nur „Water board“.
Michael Kortländer, „Modul – Skulptur – Kristallin“ (1991)

Nun ist ein Water board an sich nichts Schlimmes. Das Begriff bezeichnet im angelsächsischen Sprachraum zum Beispiel das Wasseramt. Oder auch ein Brett, mit dem sich über oder ins Wasser gleiten lässt. Das Englische ist ja so wahnsinnig unpräzise.*
*Nimm das, Mark Twain!
„Waterboarding“, das war im England des 19. Jahrhunderts eine heilende Wasserkur. Und ist heute noch der Oberbegriff für Sportarten wie Wasserski oder Wellenreiten.
Welche Intelligenz?
Aber es gibt ja noch die erste Zeile der Batterie. Und die informiert darüber, in welch inhumanen Gefilden wir uns tatsächlich befinden. Es ist die dunkle Welt der „enhanced techniques“, der „erweiterten Verhörmethoden“, wie die „Zentrale Intelligenz-Agentur“, kurz: CIA, das verharmlosend genannt hat: also die Welt der Elektroschocks und des mürbe machenden Schlafentzugs. Sprich: der Folter.
Und die Welt des sogenannten Waterboardings eben: jene vom Republikaner George W. Bush ausdrücklich genehmigte, obwohl schon damals natürlich gegen die Genfer Konvention verstoßen habende Praxis des simulierten Ertränkens, mit der US-Soldaten in den Golfkriegen Geständnisse aus Gefangenen herauszupressen suchten.
Die Todesangst sollte redselig machen. Der Zweck heiligt ja bekanntlich die Mittel. Und Intelligenz bedeutet: Probleme lösen. Passt also mit dem „I“ in CIA.

Das Blatt gehört zu Serie „Top Secret“ (2012) von Jenny Holzer, die für ihr Werk Originaldokumente der CIA vergrößert und leicht weiter verfremdet hat. Die Schwärzungen der schrecklichsten Passagen – gängige Praxis bei der gerichtlich erzwungenen Herausgabe brisanter Texte – stammen vom inteligenten Auslands-Geheimdienst der Vereinigten Staaten selbst.
Allein schon die grafische Gefangenschaft von Sprache zwischen den tonnenschweren schwarzen Blöcken raubt dem Begriff vom „Water board“ die Unschuld – und zwar weit eindringlicher, als dies in einem ungeschwärzten Fließtext möglich wäre.
Das hat die visuell und semiotisch sensible Jenny Holzer sehr klug erkannt und künstlerisch sehr eindrucksvoll ausgenutzt. Uns jedenfalls hat dieser rein visuelle Effekt des Aufdeckens von Unmenschlichkeit im Kunstwerk gefallen. Dank Jenny Holzer ist der Versuch der politischen Verschleierung gescheitert. Die Kunst entlarvt das Original – und zwar als Bild.
Von Truth Social zum Ministerium für Wahrheit ist es kein weiter Weg
Im Grunde finden wir, dass „Top Secret“ vielleicht sogar noch ein bisschen besser in unsere noch viel sprachverlogenere Gegenwart passt als in die Ära Bush.
Denn in den USA fuhrwerkt ja jetzt ein Mann herum, der die Wahrheit durch verbale Verdrehung einfach so lange übertüncht, bis für seine Skrupellosigkeit und seinen Zynismus nur noch die Hülsen sogenannter alternativer Fakten stehen bleiben.
Ein verurteilter Betrüger, der nur deshalb nicht im Knast sitzt, weil er im Weißen Haus sitzt. Der wegen Seltenen Erden bereit ist, einem Massenmörder, Vergewaltiger und Folterer die Ukraine und eigentlich ganz Europa zum Fraß vorzuwerfen – und dem man fast zutrauen möchte, in Kürze, wie angedeutet, in Grönland oder Kanada einzumarschieren.

Anna Goebel, aus dem Zyklus „Revealed I und II“ (undatiert)
Also ein Mann, der für mafiöse „Deals“ vor allem auch mit Sprache lügt & erpresst. Und im Grunde auch, indirekt, vergewaltigt. Und foltert. Weil ja bekanntlich der Zweck die Mittel heiligt.

Im Grunde ist das, was wir da gerade in den USA erleben, ein brutales Waterboarding von Solidarität, Toleranz, Menschlichkeit, Gesetzestreue, Wahrheit und Demokratie: also ein Waterbording all jener Werte, die uns immer noch ziemlich heilig sind.
Wir jedenfalls fühlen uns gerade existentiell ein wenig am Ertrinken.
Das hat Jenny Holzer ziemlich gut gemacht
Überhaupt ist es ja sicher nur noch eine Frage der Zeit, bis dieser Mann das von Barack Obama verbotene Waterboarding wieder zulässt. Und, klar, natürlich: wie ein gewählter Diktator per mit Leichenbittermiene in die Kamera gehaltenem Dekret, auf dem man eigentlich nur seine gigantomanische Unterschrift erkennt.
Das alles kam uns in den Sinn, als wir in der Villa Zanders das zwischen den schwarzen Blöcken zerquetscht zu werden drohende Doppelwort vom „Water board“ lasen. Ja doch, das muss der Neid ihr lassen: Das hat Jenny Holzer mit einfachsten Mitteln ziemlich gut gemacht.
Nach diesem graphischen Sprach-Schock sind wir in der Villa Zanders wieder zu den Sternen gegangen, zu den Planeten, zur Birken-Landschaft von Worpswede mit ihren Schichten aus Servietten. Zu all dem Spektakulären, das man mit Well- oder Dämmpappe, mit Washi-, Seiden- oder Sandpapier, mit Konfetti oder Puzzleteilen oder Kotztüten künstlerisch über die vier Elemente so erzählen kann.
Solange ist Hoffnung!
Und das war tröstlich. Denn: Solange noch derart poetische Kunst existiert, solange sich Kunst noch politisch engagieren mag, solange Kunst noch etwas auslöst in uns: Solange ist Hoffnung. Dass die Welt trotz ihrer Diktatoren und der unendlichen menschlichen Dummheit nicht verbrennt. Und dass die Water Boarder dieser Erde sich bald in Luft auflösen.
Oder sich doch zumindest endlich alle dahin schießen lassen, wo sie hingehören – und wo sie ja auch hinwollen: zum Mars. (02.03.2025)

„Paper / Elements. Kunst aus Papier und die vier Elemente“ ist noch bis zum 9.Juni 2025 im Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach zu sehen.
Anmerkung 1: Wir glauben übrigens, dass Jenny Holzer semiotisch sensibel genug ist, um das „Water board“ – vielleicht sogar ironisch? – auch auf ihre eigene Arbeit zu beziehen. Schließlich befindet sich „Top Secret“ auf handgeschöpftem und aufwendig weiter verarbeitetem Bütten, und da wollen wir dann doch einmal kurz darauf verweisen, dass zum Schöpfen dieser edlen Papiere die mit dem Leim im Wasser vermischten Baumwollfasern am Ende mit einem Sieb im Rahmen aus dem Becken wieder ins Trockene gezogen werden, bevor man sie, zwischen Filz doppelt gegautscht, mit schwarzen Blöcken und mit beschönigenden Worten der CIA bedrucken kann.
Und wenn dieses Instrument aus Sieb und Rahmen kein „Water board“ im klassischen Sinn des Wortes ist, dann wissen wir es auch nicht.
Anmerkung 2: Bevor Sie fragen: Natürlich! Sie haben völlig recht. Warum eigentlich zu Trump in die Ferne schweifen? Denn das Böse liegt so nah. Ihre KunstArztPraxis
Anmerkung 3: Ja, auch das ist wahr: Wir haben nur andeutungsweise geredet über den Mann, der Kalif werden will anstelle des Kalifen! Dazu vielleicht dann später mehr. Ihre KunstArztPraxis.
Die Villa Zanders in der KunstArztPraxis:
Traum hinter Geste: Ruth Marten in der Villa Zanders
33 Malantworten: Rolf Rose in der Villa Zanders
Mehr Babel war nie! Jenny Michel in Bergisch Gladbach (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Wie sagen wir’s den Bienen? “HONIG” in der Villa Zanders (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
In Brüchen denken: “Martin Noël – Otto Freundlich” (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Mechtild Frisch: Aufschein im Verschwinden (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Katharina Hinsberg: Making-of “Linie im Raum” (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Reine Bildgebung (8): “Still Lines” in der Villa Zanders (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Schönheits-OPs (3): Kunstmuseum Villa Zanders
Intuition statt Kochbuch. Ein Editionsgedicht
“Bibliomania” in Bergisch Gladbach: Buch als Körper (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Hede Bühl: Mit Strichen modellieren (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Die Medizin von Jenny Holzer mitsamt eurem hilfreichen Beipackzettel ist unweigerlich bitter wie die Themen, mit denen sie sich konfrontiert. Die therapeutische Wirkung entfaltet sie dennoch sogar aus der Ferne.
Danke für soviel KI (künstlerische Intelligenz, die wie die in seltenen Fällen verwandte karnevalistische Intelliganz Verbindung schafft – ohne Agency, in diesen Zeiten zentral)! Herzliche Grüße!
Jenny Holzer war übrigens erstaunlicherweise die erste Künstlerin, die unsere Kinder faszinieren konnte.
Antwort KunstArztPraxis: Das mit den Kindern überrascht uns nicht: Wir haben eigentlich noch nie ein derart junges Museumspublikum erlebt wie 2023 im K21 der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf. Das hätten wir hier gern gezeigt, wir haben viele Fotos. Aber die Unsichtbarkeits-Maschine war dagegen. Bleiben Sie uns gewogen. Ihre KunstArztPraxis
Es gibt in diesen Zeiten nur wenig derart kompakt Tröstlicheres, Bereichernderes, Inspirierenderes und ja, fast Heilsames, als ein Besuch in dieser wundervollen KunstArztPraxis.
Ganz großen Dank und Chapeau!
Antwort KunstArztPraxis: Herzlichen Dank! Ihr Applaus gereicht denn uns zur Heilung. Aber sowas Ähnliches (s.u.) posteten wir ja schon. Was es nur umso wahrer macht. 🙂 Ihre KunstArztPraxis
danke für eure prima Texte!
Antwort KunstArztPraxis: Ihr Lob freut uns sehr. Wir ernähren uns davon. Ihre KunstArztPraxis