Roland Nachtigäller: Porträt des Direktors als Museum
Zum Jahreswechsel 2021/2022 ging in Herford eine Ära zu Ende: Nach 13 Jahren verließ Roland Nachtigäller – jetzt Geschäftsführer der Stiftung Insel Hombroich – das Museum Marta. Die KunstArztPraxis erinnert sich an wunderbare alte Zeiten. Und freut sich natürlich gleichzeitig auf neue.
Offen, freundlich und seinen Gästen zugewandt, mit kritischem Witz und jenem austarierten Grad an kommunikativer Verspieltheit, der der Kunst den Bierernst nimmt und doch die Würde lässt: So kam uns das Marta Herford bei jedem unserer Besuche bisher schon von außen vor.
Dieselben Begriffe kamen uns aber auch immer dann in den Sinn, wenn wir drinnen – und stets zu unserem größten Vergnügen – mit Roland Nachtigäller zusammentrafen: Für uns sind das die Eigenschaften, aus denen auch die Persönlichkeitsarchitektur des Museumsdirektors zurechtgezimmert ist.
Deshalb erschien es uns oft so, als habe Frank Gehry sein fulminantes Haus eigens um Roland Nachtigäller herum gebaut. Was natürlich Unsinn ist, denn das Marta wurde schon 2005 eröffnet und der Direktor zog erst vier Jahre später ein. Vorher war noch Jan Hoet Hausherr.
Künstler*innen in Marta Herford: Die Ära Roland Nachtigäller
Egal. Beide Architekturen – die des Museums und die des Direktors – jedenfalls haben unseren Blick auf die Kunst und die Künstler*innen im Marta mitgeprägt.
Doch nicht nur das: Wenn wir die Zeit der Ära Nachtigäller räumlich als Kunststätte Revue passieren lassen, dann kommt uns ebenfalls immer wieder Architektonisches – also Gebautes im Gebäude – in den Sinn.
Aufstrebendes und Raumgreifendes, teils auf das Haus Reagierendes, Intervenierendes, die Substanz Durchbohrendes. Strukturen und Organe, die Gehrys Außenhaut auf eine sehr dialogische, originelle und, wie man heute sagt: niederschwellig-nutzerfreundliche Weise mit Leben füllten.
Durch Wände gehen
Der Hochsitz in Mark Dions – im Übrigen mit einer staunenswerten Tiefseetapete ausstaffierten – Schau „Widerspenstige Wildnis“ (2015) zum Beispiel, von dem aus man mit seinen Blicken auf die Figuren einer veritablen Jahrmarktsschießbude zielen konnte.
Henrique Oliveiras kommunizierende Durchgangsröhre mit ihrer spektakulären Holzanatomie in „Der fremde Raum“ (2017), die Marta-Wände permeabel machte.
Song Dongs umwerfendes Rahmen-Leuchter-Spiegelzelt in „Willkommen im Labyrinth“ (2018), das dem Dom den Boden wegzog. Und der strahlend rote Fadenkosmos von Chiharu Shiota gleich nebenan, der den von Song Dong gesprengten Raum verwirrend zusammenklebte.
Aber auch Hans Op de Beecks bescheidene, nicht weniger poetische Trabantenstadt mit ihrer einsam leuchtenden Bushaltestelle in „Im Licht der Nacht“ (2019).
Oder die subversive Installation der RaumZeitPiraten, die 2021 im Rahmen des neuen Formats „Marta Open Air“ Innen und Außen des Museumsbaus zusammenbrachten – und so das Marta sogar in Zeiten von Corona klug und lässig selbst dann offenhielten, wenn es geschlossen war.
Für Durchblick sorgen
Viele dieser architektonischen Innereien durften wir mit Roland Nachtigäller – und im inspirierenden Gespräch mit ihm – erkunden.
So schauten wir vor der Eröffnung von „Revolution in Rotgelbblau“ (2017) mit mulmigen Gefühlen gemeinsam auf zwei Arbeiter, die in der schwindelerregenden Höhe von gefühlten 15 Metern eine babylonische Turmbaukonstruktion von Adrien Tirtiaux doch noch zustande brachten.
Ein andermal stiegen wir selbst gen Himmel und diskutierten auf einer Wendeltreppe in „Brisante Träume“ (2018) über ein phantastisch konstruktivistisches, noch im Aufbau befindliches Wandrelief von Angela Fette unter uns.
Und in „Look!“, seiner leider letzten großen Ausstellung im Marta, hob Roland Nachtigäller in einer eleganten Bewegung 2021 die Klappen des mittig installierten Info-Kiosks für uns hoch – und eröffnete uns so den Durchblick auf eine Schau, die architektonisch ebenso offen, freundlich, kommunikativ-verspielt und mit kritischem Witz gebastelt ist wie das Marta, sein Team – und eben sein scheidender Direktor.
In diesem Sinne: Alles Gute, Roland Nachtigäller! Zum Glück sind Sie in Ihrem neuen Zuhause bei der Stiftung Hombroich ja auch von Architekturen ummantelt, die Ihrem Persönlichkeitsgebäude zumindest ähnlich sind.
Köln, im Dezember 2021, die KunstArztPraxis
P.S.: Im Marta haben wir unzählige Fotos von Künstler*innen geschossen, aber in all den Jahren nur eins von Roland Nachtigäller.
Und zwar 2017, in jenem Moment, wo wir mit mulmigen Gefühlen gemeinsam auf zwei Arbeiter schauten, die in der schwindelerregenden Höhe eine babylonische Turmbaukonstruktion von Adrien Tirtiaux doch noch zustande brachten.
Mit Nachtigäller haben wir uns immer lieber unterhalten. Wie Gäste eben.
Anmerkung 1: Der Text erscheint auch gekürzt & in Kürze im Marta Magazin 2022, das zur Gänze der Ära Roland Nachtigäller gewidmet ist.
Anmerkung 2: Auch Hans Op de Beecks Bushaltestelle hätten wir an dieser Stelle sehr gern sichtbar gemacht. Aber das verhindert die Unsichtbarkeits-Maschine.
Das Marta in der KunstArztPraxis:
Eine echte Schau: „Look!“ im Marta Herford
+++ Eil +++ Eil +++ Eil +++ Piraten entern Marta!
Katz im Marta: „Sie werden überrascht sein!“
Fotos malen? Trügerische Bilder im Marta
Reine Bildgebung (2): Brigitte Waldach in Herford
Das Hier-Dort-Prinzip. Vom Zauber des Verschwindens bei Navid Nuur
Homepage des Museums Marta Herford
Homepage der Stiftung Insel Hombroich
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