Arcimboldos 430. Todestag: Manifest des Frutar(t)ismus
In den letzten Jahren hat sich die Vegane Kunst (VA) als ernstzunehmende Strömung in ganz Europa etabliert. Zum 430. Todestag von Guiseppe Arcimboldo (11.07.1593) würdigen wir dessen Vorreiterrolle mit einem frutar(t)istischen Manifest, das wir neulich in der untersten Schublade unserer KunstArztPraxis fanden.
Manifest des malerischen Frutar(t)ismus
Für (und gegen) Filippo Tommaso Marinetti
„Friede den Blüten!
Krieg den Koteletten!“
Wir sind die Verfechter des malerischen Frutar(t)ismus. Wir missbilligen eine Kunstgeschichte, die auf der Darstellung von totem Fleisch und tierischen Produkten basiert. Wir lehnen Gemälde ab, deren Farben aus den Leichen getrockneter Schildläuse, den pulverisierter Blasen von Tintenfischen oder dem Sekret zerstampfter Gastropoden bestehen.
Für jedes Gramm Purpur auf diesen Bildern mussten – und müssen! – rund 10.000 Schnecken sterben! Karminrot und Sepia waren – und sind! – die Sargnägel in der Artenvielfalt unseres Planeten. Und Eitempera-Malerei war – und ist! – Mord an ungeborenem Leben.*
*Von Schellack, Ochsengalle, Glutinleim, Kasein, Tierkohle, Gelatine, Haut, Horn
Honig oder Bienenwachs im Kunstwerk wollen wir erst gar nicht reden.
Wir verachten die Stillleben-Produzenten des Goldenen Zeitalters für ihre Legitimierung der brutalen Jagd, den Stierkampf-Zeichner Picasso für seine Schönfärberei des Rindertötens zum Zeitvertreib.
Wir verachten die Schlachthaus-Maler Hieronymus Bosch und Francis Bacon (sic!), die uns die Welt als jene hermetisch geschlossene fleischliche Hölle präsentieren, der es angesichts einer durch Massentierhaltung forcierten Klimakatastrophe doch eigentlich zu entrinnen gilt.
Hingegen verehren wir den Obst- und Gemüsemaler Arcimboldo, den ersten veganen Künstler der Neuzeit, der die Erde, die Luft und das Wasser aus lebendigen Tieren geformt hat und mit der visuellen Fülle jedes seiner Bilder die bedrohte Biodiversität unseres Planeten preist.
(Bild: Für das Gemälde der österreichischen Designerin Emilie Flöge von Gustav Klimt mussten Hunderttausende Purpurschnecken sterben – ebenso wie wohl auch für das echte Kleid.)
Acimboldos physiognomisch versinnbildlichte Philosophie
Wir lesen Arcimboldos Gemälde als ökotrophologisch fundierte Serviervorschläge eines gesünderen Lebens, als Allegorien auf gerechtes Essen. Für diesen Maler sollte der Mensch nicht aus Fleisch und Blut gemacht sein, sondern aus Rettich, Kohlblättern, Kirschen und Lauch!
Fleischfressen ist/macht hässlich, Pflanzenessen schön: So lautet Acimboldos physiognomisch versinnbildlichte Philosophie.
Wie anders wären sonst seine Kippbilder zu verstehen, auf denen sich ein Gemüsetopf im Handumdrehen in einen gesund & glücklich dreinblickenden Gärtner verwandelt, ein Braten-Teller mit Gegrilltem hingegen in einen verschlagenen, grimmigen Koch im Harnisch des Schlächters?
Und nur so ergibt Arcimboldos rosiges Bildnis seines Gönners „Rudolf II. als Vertumnus“ – also als Gott des Gartens und der Früchte – jenseits aller bisherigen Interpretationen endlich Sinn:
als Apotheose der platonischen Idee einer weisen Herrschaft von Äpfeln, Artischocken, Birnen, Bohnen, Erbsen, Feigen, Granatäpfeln, Kastanien, Kirschen, Kohlblättern, Kürbissen, Maiskolben, Maulbeeren, Pflaumen, Weintrauben, Weizenähren und Zwiebeln über den menschlichen Körper von A bis Z.
Dass das Gemälde 1988 mit Hilfe von Krill-Enzymen restauriert worden ist, betrachten wir als Schande – und als Schlag ins Gesicht aller Wale, Pinguine, Seevögel, Robben, Heringe und Makrelen, die noch leben.
Bekanntlich war Arcimboldo ein großer Verehrer Platos und seines im „Timaios“ präsentierten Gedankens, dass die Götter Menschen und Tiere aus gleichem Stoff erschaffen hätten – während die „Bäume, Gewächse und Saaten zu einem anders beschaffenen Lebenden hervorsprießen“ würden.
Für Arcimboldo musste Fleischverzehr also Kannibalismus sein! Und derart frutar(t)istisch hat er auch gemalt. Quod erat demonstrandum.
Die Wissenschaft gibt dem Blumigen recht
Für uns steht das große „F“ auf Arcimboldos Bildern deshalb nicht für das gemeinhin unterstellte kleine „fecit“ („er hat gemacht“): Das war ja mit der Signatur schon klar. Es steht für „Floridus“ („der Blumige“) oder „Fructus amicus“ („Freund der Früchte“).
Die moderne Forschung jedenfalls gibt diesen zu Lebzeiten als „grilli“ (sic!) diffamierten, dann verlachten und bis ins 20. Jahrhundert vergessenen Bildern aus ernährungsphysiologischer, aber auch aus tierethischer und lebenswissenschaftlicher Perspektive Recht.
Im Namen Arcimboldos erklären wir das mörderische Zeitalter einer carnivoren Malerei, die zwecks der Abbildung toter Kreaturen zermalmte Weichtiere und Insekten mittels Pinseln aus Schweineborsten auf eine tierknochenverleimte Leinwand brachte, für beendet.
Die Zukunft gehört den Eisenoxiden der Höhlenmalereien, den Färberpflanzen der Klostergärten, den mit Pflanzengummi gebundenen Pigmenten aus den Mineralien und Erden des Mittelalters, den exotischen, artgerecht entnommenen Harzen des Drachenblutbaumes oder des Gummigutts.
Der echte Nährwert der Gemälde
Die Zukunft gehört den Blumenbildern, den arciboldesken Porträts und phantastischen Architekturen aus Obst und Gemüse, einer von Mastvieh und Monokulturen auf den Feldern befreiten, alles frei Sprießende und Blühende lobpreisenden Landschaftsmalerei.
Die Zukunft gehört Museen, die sich dem Lebenden statt dem Toten, dem Blumigen statt dem Blutigen verschreiben. Und einer Kunstkritik, die Bilder ganzheitlich nach ihrem echten Nährwert zu beurteilen vermag.
Wir Verfechter des neuen malerischen Frutar(t)ismus wollen aber noch weiter gehen! Denn für uns begann der Sündenfall der Malkunst mit der Darstellung einer verführten Frau, die unter Einflüsterungen des inkarnierten Bösen einen Apfel brutal seiner paradiesischen Heimat /also dem Baumstamm) entriss!
Pflücken verboten!
Dahingegen strebt der malerische Fruktar(t)ismus in seiner unschuldigen Verwendung von Obst- und Gemüse-Material auch nach einer unschuldigen Darstellung von Obst und Gemüse, das noch am Baum (oder Strauch) der Erkenntnis hängt.
Oder wie im Schlaraffenland nach den Gesetzen der Newtonschen Schwerkraft kraft seiner freien Entscheidung in den Schoß (oder auf den Kopf) der Menschheit herabgefallen ist.*
*Aber natürlich ohne die Darstellung von Schweinen, die mit Messern
und Gabeln in der Schwarte servierfertig durch die Gegend rennen!
Müssen wir ja wohl nicht mehr erwähnen.
Das Scheitern Marcel Duchamps wird unterbewertet!
Und in der Performance, der Plastik? Da hätten wir uns einen Marcel Duchamp gewünscht, der 1917 statt einer Sanitärkeramik aus dem Baumarkt einen (wurmlosen) Apfel vom Boden einer Streuobst-Wiese aufgehoben und ins Museum getragen hätte!
Das hätte uns in der neueren Kunstgeschichte sicher so Manches an Rindfleisch (Abramović), Knochen (Holzer), Haien (Hirst), Hasen (Beuys), Wölfen (Dion), Rentieren (Höllerer) oder Pferden (de Bruyckere) erspart.
Ein solcher Streuobstwiesen-Apfel wäre das erste Readymade des skulpturalen Frutar(t)ismus gewesen, den Pioniertaten des Arcimboldo würdig. Und weitaus wegweisender als ein umgekipptes, den gefüllten Blasen des patriarchalen Schweinesystems dienendes Pissoir. (10.07.2023)
Anmerkung 1: Obwohl uns der malerische Frutar(t)ismus natürlich auch zu weit geht, doch noch mal zur Sicherheit: Für uns sind nicht die Vertreter einer gesünderen Ernährung oder einer lebenswerteren Umwelt die gefährlichen Ideologen. Die lauern unseres Erachtens an der entgegengesetzten Seite des Tischs und mästen den Rechtsextremismus gerade mit Wortwürsten wie “Öko-Diktatur”, „Heiz-Stasi“, “Klima-RAF” oder „Fleischverbots-Partei“. Diese ausgekochte Verrohung aus Lügen & egoistischem Kalkül in der politischen Mitte ist mehr als beschämend: nicht nur, aber auch & gerade in einer Zeit, die sich der gemeinsamen Suche nach Rezepten zur Rettung der Erde – und der gleichfalls gefährdeten Demokratie! – verpflichten sollte. Punkt.
In diesem Sinne bitten wir, das obige Manifest nicht misszuverstehen. Es eignet sich zur Instrumentalisierung nicht. Wir wollten einfach nur eine neue, zeitgemäße Kunstströmung erfinden. Und Arcimboldo ähren.
Anmerkung 2: Ja, wir wissen, dass „Koteletten“ nicht der Dativ Plural von Kotelett ist! Für eine gute Paronomasie gehen wir halt über semantische Leichen.
Vegane Kunst in der KunstArztPraxis:
Ricardo Reuss: Der Fotograf der Gurke
159,2 Millionen für van Goghs “Gurkenmädchen”!
Veganic Art (VA)
Tiere in der KunstArztPraxis:
Peep-Show mit Tieren: Bertram Jesdinsky in Neuss (gefressen von der Unsichtbarkeits-Maschine)
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