Lieber Dichter, dichte mir: Lyrik für Kippenberger
Martin Kippenberger ließ gerne fremde Maler für sich malen. Aber er lieferte auch Serviervorschläge für lyrische Ergüsse. Zu seinem 70. Geburtstag nehmen wir ihn einfach mal beim Wort. Und verdichten ein Weg weisendes Werk zu poetischen Zeilen über die Suche nach Liebe.
1979 entstand Martin Kippenbergers bekannte zwölfteilige Werkgruppe „Lieber Maler, male mir“, die ein Plakatmaler nach Fotovorlagen des Künstlers schuf. Aber kaum jemand weiß, dass Kippenbergers acht Jahre später entstandener „Documenta-Wegweiser (Peter-Skulptur)“ als Serviervorschlag für Poeten gedacht war, die ihn in ihrem Sinn vollenden sollten!
Jetzt, wo wir das Geheimnis gelüftet haben, wagen wir uns am 70. Geburtstag Kippenbergers auch noch selbst daran, die vom Künstler gestellte Aufgabe als Erste zu erfüllen! Das sind wir Martin Kippenberger schuldig.
Wir versuchen mal eine Fassung in dem eigens hierfür erfundenen Genre der Liebesentzugs-Lyrik, vulgo: Deprivations-Poesie. Geht aber gut aus, versprochen! Alle Kippenberger-Wegweis-Wörter sind kursiv. Voilà:
Lieber Dichter, dichte mir.
Kippenberger zum 70. Geburtstag
Sebastian „Satchmo“ F. C. Döhlen,
ein guter Freund von Albert Oehlen
Lag wegen Deprivation
Im Krankenhochhaus auf Station.
„Why“ fragte er beim Gang zur Dusche,
„Wurde ich diese Depri–Lusche
Die nur in Moll noch denken kann?
Und: Wie locke ich Liebe an?“
Satchmo nahm erstmal seine Shower
(danach ist man ja immer schlauer),
Verfiel hierauf in tiefen Schlummer
(der beste Helfer gegen Kummer)
Und schrieb, derweil er nicht mehr schlief,
Den Ärzten einen Handschrift-Brief:
„Verzeihung„, schrieb er, „Therapeuten,
Bei mir gibt‘s nichts mehr auszudeuten,
Ich will mich nie mehr Trostbetrinken.
In Arme einer Nutte sinken.
Ich will, dass Amor die Verschlüsse
Der Seele öffnet. Und durch Schüsse
Der Liebe echte Brücken baut.
Samt amouröser Gänsehaut.
Die Heilung liegt im Liebeswahn,
Mit Schönem Gruß*, Sebastian.
P.S.: Um all das wahr zu machen
Werd‘ ich mich aus dem Stäubchen machen
Und ziehe, nehmt es mir nicht krumm,
nach Kreuzberg in ein Bootshaus um.“
***
Das Bootshaus war an sich charmant:
Ein Chambre, Decke, Erker, Wand,
Zwei Fenster (eins davon zum Lüften),
Und Bücher (bis zu Satchmos Hüften):
Ernst Jünger („Strahlung“, „Stahlgewittern“)
Gedichte („Panther„), was von Schwittern
„Blutjung„, „Enthauptung“ (von Nabokov)**
Und „Zimtstange“ von Jovet-Orkov***
Zu lesen gab es an der Spree
Also genug für Zwei in spe,
Indes galt’s noch das Haus durch Handeln
In ein Trieb-Studio zu wandeln.
Sprich: mit dem Grundierfarbeimer,
Kreuzschraubenzieher, Bettentkeimer
den Liebenslaubenfaktor rocken
Und dann durch Kochen Männer locken.
***
Im Krankenhochhaus: Vollbedienung.
Am See von Kreuzberg: Selbstkantinung!
Weshalb Satchmo ins Wasser ging,
Wo er in Reusen Fische fing:
Den Dorsch, den Barsch, den Kabeljau,
Hering für Matjes (oder blau).
Mit diesem Fang im Bootehaus
Warf Satchmo brutzelnd Köder aus.
Das roch der Blumenkohl(en)peter.
Beruf: Amateurlíga-Treter.****
Mit Sinn für Bücher und Genuss:
Ein Steilpass für Amores Schuss.
***
Im Ganzen machte Peter frischen
Gesamteindruck. Ganz niedlich: Zwischen
Dem Nasenflügel (auch apart!)
Und Oberlippe: Damenbart.
Satchmo war rundum angetan
Und hob zu dieser Rede an:
„Gebenedeiet seist du, Peter!
Nach Hause schick‘ ich dich erst später.
Lass uns als Form des Indiskreten
Die Körperschwelle übertreten*****
Bis dass der Triller unserer Freude
Im Alkoven den Schaum vergeude!“ ******
Danach sprach Peter fast dasselbe!
Der Einklang war vom Ei das Gelbe!!
Und Peters Schuzpe Endstation
Für Satchmos Deprivation.
Respekt muss man der Liebe zollen,
Dass sie mit ihrer Anmut Pollen
Performt, was Therapie am Mann*******
Trotz Medizin nicht leisten kann.
Bitteschön. Dankeschön. (25.02.2023)
* MSG eben
** Ein Lapsus Kippenbergers! Nicht „Blutjung“, sondern „Lolita“ (1955). Und natürlich „Einladung zu Enthauptung“ (1934)
*** Francoise Jovet-Orkov (1932-1986), französische Existentialistin, Schwester der Bryologin Suzanne Jovet-Ast. Ihre erotische Gedichtsammlung „Zimtstange“ ist , wie der Nachfolgeband „Gesäße in Vachettenleder“ zu Recht vergessen.
**** Mit Betonung auf „Liga“, nicht auf „Amateur“
***** Bei Kippenberger steht „Schwellkörper„, aber wir halten das für einen Schreibfehler. Was zur Hölle sollte das auch sein.
****** Wir vermuten: Es geht um Champagnerschaum!
******* Und an der Frau natürlich! Ts ts ts, Herr Kippenberger!
Anmerkung: Auf unserem Foto von der Kippenberger-Retrospektive „Bitteschön. Dankeschön“ 2019 in der Bonner Bundeskunsthalle fehlen folgende Weg weisende Worte aus dem „Documenta-Wegweiser“ Kippenbergers: „Zimtstange“, „Trieb-Studio“, „Schwellkörper“, „Alkoven“, „Schaum“, „Das Gelbe“, „Pollen“ und „Vachetten“. In unserer Gedichthommage sind sie natürlich drin. Bitteschön. Dankeschön.
© für alle Kunstwerke: Estate of Martin Kippenberger / Galerie Gisela Capitain
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Ihr seid genial!!!
Wieder ⭐️ ⭐️ ⭐️ ⭐️ ⭐️ für dieses Lesevergnügen
KunstArztPraxis: Hach, toll. Freut uns ungemein! Ihre KunstArztPraxis