Conrad Schnitzler: Der Mann mit dem Soundhelm
In den 1970er und 1980er Jahren war der Beuys-Schüler Conrad Schnitzler einer der großen Wegbereiter der elektronischen Musik und des Environments. Ohne ihn wäre „Kraftwerk“ wohl undenkbar gewesen. Die Kunsthalle Düsseldorf widmet sich seinem Werk. Und wir komponieren Schnitzler aus biografischen Schnipseln.
Gott sei Dank konnte Conrad Schnitzler keine Noten lesen, und zum Glück versagte er als Kind beim vom Vater verordneten Geigenspiel, denn sonst hätte ihn die Musikwelt verloren. So machte er die gute alte Audiokassette zu seinem Resonanzraum und die Kassettenrekorder zu seinem Orchester.
Dabei reichte Schnitzler eine Kassette nicht aus, ebenso wenig wie ein analoger Synthesizer: Er wollte mehrere Klänge gleichzeitig spielen können und verschaltete dazu auch schon einmal ein Meer an Apparaten zu seinen „Kassettenorgeln“.
Bis zu zwölf Rekorder setzte Schnitzler für seine wegweisenden, von ihm erfundenen und in der jeweiligen Situation erst zu Ende komponierten „Kassettenkonzerte“ gleichzeitig ein. Die Kassettenrekorder wurden von Performer*innen im Publikum herumgetragen. So entstand ein immer wieder anderes, einmaliges Klangerlebnis. Diese Konzerte dauerten oft Tage.
Wichtiger Hinweis am Rande: Am 13. August 2022 um 15 Uhr in die Kunsthalle Düsseldorf gehen! Da veranstalten Wolfgang Seidel und Ken Montgomery, zwei Wegbegleiter Conrad Schnitzlers, ein Schnitzlersches Kassettenkonzert mit räumlich und zeitlich arrangierten Klängen. Unbedingt anhören.
Unfassbar für das Ordnungsamt
Bei der Ars Elektronica 1980 in Linz forderte Schnitzler das Publikum sogar dazu auf, seine eigenen Rekorder mitzubringen. Am Anfang des Konzerts verteilte er seine Kassetten und wanderte mit den Menschen als „Wandelnde Elektronik-Klangwolke“ durch die Stadt.
In den 1980er Jahren lief Schnitzler im weißen Anzug mit seinem Rekorder-Gürtel um die Hüfte und einem Megaphon-Motorradhelm auf dem Kopf über den Berliner Ku’damm und verkaufte seine Kassetten. Immer in Bewegung, also ohne festen Stand für sein „Gewerbe“. Und damit unfassbar für das Ordnungsamt.
Damals stand auf jeder Kassette Schnitzlers Privatadresse, sodass sich ein reger, vernetzender Austausch mit seinem Publikum ergab.
Musiker wollte Conrad Schnitzler aber nicht genannt werden: Das war ein „Schimpfwort“ für ihn. Er war Performer, Aktionskünstler – zu Hause nicht in, sondern zwischen den Medien. Und als Dazwischen aus „Versatzstücken“ wollte er seine Arbeit auch begreifen.
Fertigstellen konnten seine akustischen Serviervorschläge gern andere. Immer wieder neu. Sogar das Publikum.
In den späten 1960er Jahren zum Beispiel schloss Schnitzler die Geige, an der er als Kind gescheitert war, über einen Tonabnehmer an ein Radio an. Daraus erwuchs eine Aktion in der berühmten Galerie Block, in der die Besucher*innen als Teil einer Klang-Skulptur ihr eigenes Geigenspiel im Radio hören konnten.
1970 gehörte Schnitzler zur Formation der Progressive-Rock-Band „Tangerine Dream“, mit der er das Tape „Electronic Meditation“ herausgab. Darauf kam bereits eine elektronische Orgel zum Einsatz.
Für die Jungs von „Kraftwerk“ soll Conrad Schnitzler den ersten Synthesizer von England nach Düsseldorf geschmuggelt haben. Für die ersten Auftritte von „Ton Steine Scherben“ besorgte er Verstärker.
Dabei war ihm der „Kraftwerk“-Sound „zu straff“, zu deutsch: „Ich bin 1937 geboren und kann sowas nicht leiden“, sagte er dazu. „Meine Generation hatte nach dem Krieg die Schnauze voll vom Deutschsein, von diesem ganzen Pickelhauben-Scheißdreck. Wir wollten Europäer sein!“
Wegen des Krieges seiner Kindheit sind Schnitzlers Klänge geprägt vom Dröhnen der Bomben, wegen seiner Ausbildung zum Maschinenschlosser und wegen seiner Tätigkeit als Heizer auf der „Wilhelm Bornhofen“ beeinflusst vom industriellen Lärm der Fabrik, der Sirenen, der Schiffsschrauben und der Motoren.
Ihr Pfeifen und Hämmern und Knattern prägt seine elektronische Musik – unter bewusster Missachtung des Musikmarkts und jeglicher Flower-Power-Romantik.
In der Kunsthalle Düsseldorf ist jetzt der Klang- und vor allem auch der Videokünstler Conrad Schnitzler zu entdecken: Nach einem ganz eigenen kompositorischen Gesamt-Arrangement, das die Schau auch klanglich gliedert. Lohnt sich auf jeden Fall. (08.08.2022)
Jetzt heißt es sputen: „Conrad Schnitzler. Manchmal artet es in Musik aus“ ist nur noch bis zum 14. August 2022 in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen – beziehungsweise zu hören. Parallel läuft auch noch die Ausstellung „City Limits“, über die wir an anderer Stelle schon berichteten.
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