Sommerloch-Porträts 3: Robert Wilsons Mund
Sie rufen außerhalb unserer Sprechzeiten an: Die KunstArztPraxis ist in Urlaub. Deshalb als Überbrückungsmusik eine Mini-Serie mit Lieblingsporträts nebst ihrer Geschichte vom AB. Den Schlussakzent setzt Robert Wilsons Mund, dessen Schweigen am Ende doch noch für sich sprach.
Gutes Schweigen will gelernt sein. Samuel Beckett hat das gekonnt, John Cage nicht minder. Sogar aus Marcel Duchamp sprudelt uns bisweilen grandioses Stillschweigen entgegen. (Ja, Prof. Beuys: sogar aus Duchamp!) Aber das Schweigen Robert Wilsons wird manchmal ein wenig überschätzt. Zumindest von Robert Wilson selbst.
Den Eindruck hatten wir, als der von uns im Grunde hochverehrte Wilson auf der Pressekonferenz zu seiner Ausstellung “The Hat Makes The Man” 2018 im Brühler Max Ernst Museum nach den üblichen Lobesworten aufstand, sich vor den auf Sprache wartenden Journalisten in Position brachte, die Hände faltete (faltete er wirklich die Hände?) und mit gesenktem Haupt mehrere unerträgliche Minuten lang – so lange schwieg, bis der erste ging.
Bedauerlicher Weise war das genau jenes rahmensprengende Unerwartete, das wir in diesem Rahmen erwarten durften. In dieser Manier hatten wir Robert Wilson schon öfter schweigen – und das Schweigen dann mit einem schrillen Schlussschrei wieder beenden – gesehen.
The Flat Makes The Man
Wir hatten trotzdem gute Laune. Schließlich hatte unser Fotograf als einziger seiner Zunft von Wilson die offizielle Erlaubnis erhalten, die Ausstellung – und Wilson selbst – zu fotografieren! Während die anwesenden Kollegen also grummelnd in die Röhre schauten, holten wir Wilson stolz und dankbar aus einem Schauraum ab und stellten ihn mit dem Rücken vor ein blaues Installationsschaufenster nebenan.
Zu Hause, bei der Nachbereitung, staunten wir nicht schlecht. Und staunen bis heute: So präsent Wilson selbst in seinen Brühler Schweigeminuten gewesen war, so wenig findet er auf unserem Foto tatsächlich statt. Da ist keine künstlerische Tiefe, nur irritierende Fläche. Eine seltsam leere Schwammigkeit der Gesichtszüge greift Platz (und fehlt ein besserer Ausdruck, Entschuldigung!), die bei einem blendenden Performer wie Wilson nur gewollt sein kann.
Das alles spiegelt sich unseres Erachtens in Robert Wilsons Mund. Der ist leicht geöffnet, aber man sieht nichts vom biblisch großen Gähnen Samuel Becketts oder der lärmumrahmten Stille bei John Cage. Auch hier: nur muskulöse Schlaffheit – eben seltsam leere Schwammigkeit – des Unterkiefers.
Man kann es auch prosaischer formulieren: Robert Wilson hatte schlichtweg keine Lust, sich von uns fotografieren zu lassen. Er bereut seine Zusage offenbar noch in jenem Augenblick, den wir für die Ewigkeit festgehalten haben. Und irgendwie sollen wir das wissen.
“Ihr könnt Robert Wilson nicht herausreißen aus seiner eigenen Inszenierung”, sagt Wilsons stummer Mund. “Das hier ist nur eine Maske wie aus dem Schaufenster hinter mir. Hier steht ein energieloser alter Mann, der Robert Wilson vielleicht etwas ähnlich sieht. Robert Wilson ist immer noch nebenan inmitten seiner Werke.”
Diese komplette Verweigerung ist das, was uns an unserem dritten und letzten Sommerloch-Porträt für 2021 unsagbar gut gefällt. Die vollkommene Abwesenheit des Porträtierten ist für uns ein Geschenk. Diese Performance des absoluten Nichts war das eigentlich Unerwartete, das große Ereignis, mit dem wir nicht gerechnet hatten.
Das wahre Schweigen Robert Wilsons hätten wir ohnehin nicht einfangen können mit den plumpen Mitteln unserer Fotografie. (02.08.2021)
Der Vollständigkeit halber wollen wir an dieser Stelle doch zumindest noch kurz vermerken, dass auch Robert Wilson wunderbar schweigen kann. Und dass er die Stille bisweilen überaus imposant in Szene setzt! Wer seine Lesungs-Performance zu John Cages “Lectures on Nothing” 2012 bei der Ruhrtriennale in Bochum gesehen hat, kann ein (Schlaf-)Lied davon singen.
Und später haben wir auch noch Fotos mit einem spannend entspannteren Robert Wilson gemacht. Plus Mund, der lächelt.
Sommerloch-Porträts (1): Tim Burtons Hand
Sommerloch-Porträts (2): Pierre Huyghes Hund
Ach wie toll. Wieder eine dieser grandiosen Geschichten. Ich liebe das wirklich sehr, diese Perspektive auf die große Kunst, die Zwischentöne und das Bemerken versteckter Botschaften. Kann gar nicht genug davon haben!!