Überall Tatoos: Franziska Nast in Remagen
Vor elf Jahren hat Franziska Nast das Arp Museum real tätowiert. Und auch ihre aktuelle Schau „RRRRReality“ ist wieder sehr bestechend. Wir jedenfalls haben überall Tatoos gesehen – selbst da, wo keine waren. Hat aber vielleicht auch mit einem sehr persönlichen Erlebnis zu tun.
Kurz nach der Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 beschloss Einer von uns KunstArztPraxis-Ärzten, seinen Wohnwagen an die Ahr-Hilfe abzugeben. Einige Wochen später kam das Dankes-Foto eines knapp bekleideten, aber wild gepiercten jungen Paars im Bodysuit, also mit Ganztorso-Tätowierung. Im Arm hielt die Frau ein kleines Mädchen.
Das Haus der Familie hatte die Flut weggespült. Der Wohnwagen des KunstArztPraxis-Arztes war inzwischen zum Tatoo-Studio umgebaut worden. Mit ihm sicherte die Frau den Dreien den Lebensunterhalt.
Was am Tätowieren interessiert
Wir hatten die hübsche Geschichte schon fast vergessen, aber dann kam uns zu Ohren, was Franziska Nast übers Tätowieren gesagt hat. Und weil wir bekanntlich Jäger & Sammler objektiver Zufälle sind, wollen wir den objektiven Zufall hiermit niederschreibend dokumentieren:
„Wenn man sich jetzt gerade aktuell einmal ansieht, wie Menschen im Krieg oder bei Überflutungen ihr ganzes Hab und Gut verlieren: Die Tätowierung bleibt als ganz privates Tagebuch auf dem Körper“, hat Franziska Nast übers Tätowieren gesagt. „Man könnte mir alles nehmen, aber die Tätowierungen nicht.“
Bis zu seinem Tod 2010 war Franziska Nast mit der Hamburger Tatoo-Legende Herbert Hoffmann befreundet, seit sechzehn Jahren sticht sie selbst. 2012 tätowierte sie im Rahmen der Gruppenschau „Die Eroberung der Wand“ zwei – mit Menschenhaut ähnelnder Isolierfolie überzogene – Säulen im Richard Meier Neubau des Arp Museums.
Die Werke wurden nach der Ausstellung weiß übermantelt. Für „RRRRReality“ hat Nast diese Säulen jetzt wieder freigelegt.
Das Entmanteln war ein aufregender Moment
„Das war sehr spannend“, sagt Nast. „Weil keiner wusste, was in den elf Jahren mit den Tätowierungen passiert ist. Ob die vergammelt sind, ob etwas bröselt. Das Entmanteln war ein aufregender Moment.“
Zum Glück war alles noch so, wie es 2012 konserviert worden war. Das Tagebuch unter der neuen und auf der alten Museums-Haut war heile.
Was bleibt, vielleicht für immer? Das ist so ein Thema von Franziska Nast. Was bleibt, wenn Zeit vergeht, Dinge sich ändern? Was bleibt von Moden, von Technik, von Wirklichkeit – von der eigenen Familie? Was bleibt von Pflanzen, von Menschen wie Herbert Hoffmann, wenn sie sterben?
Was bleibt vom schwangeren Körper, im Kreislauf unseres Lebens, unseren Wirklichkeiten? Die Antwort lautet: Was bleibt, sind Bilder. Ableger. Abdrücke. Zeichen. Recyclings. Und, vor allem: Was bleibt, sind Tatoos.
Wenn man Tätowierung als neue – und beim Bodysuit teils über Jahre immer wieder neu ergänzte – Überschreibung eines Körpers mit einer visuellen Erzählung ansehen will, die teils auf das Leben dieses Körpers Bezug nimmt, dann lässt sich ohnehin vieles (wenn auch nicht alles) in Nasts „RRRRReality“ als Tatoo begreifen.
Unter der Haut der Bilder
Dann sind auch Werke wie „LLcoolJ“ (2013) und „La Paloma“ (2017) persönliche Tagebuch-Tatoos: weil ihnen jeweils ein Abdruck von Nasts Babybäuchen zugrunde liegt. Oder das Triptychon ihrer vierköpfigen Familie, das aus mehreren Schichten weiterer Fotos – früherer Fotos? derselben Fotos? – besteht.
Die Farbe jedenfalls ist unter die oberste Hautschicht in die anderen Schichten gedrungen. Wie beim Tätowieren.
Neue Infos auf den Langspielplatten
In diesem übertragenen Sinn ist dann auch eine LP-Wand wie die von „The evil and the X on burnerchrome“ (2009) das Ergebnis einer Tatoo-Aktion.
Nur, dass die Haut der durch Lacküberzug ihrer ursprünglichen Musikinformation beraubten Langspielplatten eben nicht mit der Tintennadel einer Tatoomaschine überschrieben wurde, sondern mit den Schuhen von Hamburger Partygästen, die auf diesem konservierten Dancefloor aus Vinyl eine neue musikalische Geschichte erzählen.
Natürlich kann man sich den vielen Wirklichkeiten von „RRRRReality“ auch noch ganz anders als übers Tätowieren nähern. Wir allerdings waren bei unserem Besuch komplett in diesen Tautologien des Tautierens gefangen.
Täuschend echte Abziehbildchen
Dabei ist in der Schau sogar da längst nicht alles hautgestochen, wo es hautgestochen aussieht. Grundlage für „I’m still waiting for your answer“ (2022) zum Beispiel war eine Übungshand für Nail-Designer, auf die Nast Abziehbildchen zur Verschönerung der Nägel geklebt und aus den davon gemachten Fotos auf Reispapier ein opulentes Wandbild komponiert hat.
Die Abziehbildchen heißen zwar „Nail-Art-Tatoos“, sind von echter Tätowierkunst aber meilenweit entfernt.
Der Bodysuit des Dr. Clotten
Und trotzdem nahm das ganze Arp Museum, vielleicht auch wegen der Säulen, vielleicht auch wegen unserer Ahr-Geschichte, für uns ganz den Charakter eines überschriebenen Körpers an.
Ein ähnlicher Effekt ergibt sich übrigens für uns immer wieder, wenn wir unsere Lieblingsfotografie des Hamburger Kult-Tätowierers Herbert Hoffmann betrachten. Sie zeigt einen von ihm zum „Bilderbuchmenschen“ (Hoffmann) ganztorso-tätowierten, sehr ernst dreinblickenden Akademiker in einem aus heutiger Sicht recht spießigem Interieur mit Ziertellern, Kerzen und einer Vitrine für Porzellan-Nippes im Hintergrund.
Nach einer Weile strahlt dieser tätowierte Körper in den Umraum und das ganze Interieur wird Tatoo. Wie in „RRRRReality“ (für uns) eben auch. (03.07.2023)
„Franziska Nast. RRRRReality“ ist noch bis zum 17. September 2023 im Arp Museum Bahnhof Rolandseck in Remagen zu sehen. Der Katalog ist diesmal ein opulentes Künstlerinnenbuch (inklusive Daumenkino!). Im Shop gibt es einen gendergerechten Künstlerinnen-Schal und Mode von Franziska Nasts Label „Fack Fushion“.
Das Arp Museum in der KunstArztPraxis:
Wir sind geheilt! „Goldene Zeiten“ in Remagen
Reine Bildgebung (13): Berlinde de Bruyckere
Die Haut der Seele: Berlinde De Bruyckere
Paula Modersohn-Becker in Remagen: Frau = Birke
Stella Hamberg: Kraft und Sinnlichkeit
Freiheit durch Weglassen: Rodin und Arp in Remagen
Warum überflüssig? “Luxus und Glamour” in Remagen
Anmerkung: Das verschämte Feigen-Kreuz stammt aus der KunstArztPraxis: zu viel Sichtbarkeit ist ja auch nicht immer gut. Der Bodysuit des Dr. Clotten jedenfalls geht darunter munter weiter.
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