Die Mal-Maschine. Ein Jean-Tinguely-Gedicht
Könnte uns Maschinen-Kunst intellektuell und emotional jemals derart anfixen wie, sagen wir: die Apparaturen von Jean Tinguely im Lehmbruck Museum in Duisburg? Das Tolle ist, dass wir das ebenda austesten können: mit Tinguelys Mal-Maschine! Wir wissen nämlich, was sie beim Malen denkt. Im Gedicht!
Irgendwo bei James Joyce gibt es ein Gedankenspiel Einsteinscher Größe, das wir vom Skulpturalen – bei Joyce geht es um Laokoon – ins Malerische transformieren möchten: Wäre es Kunst, wenn ein wild gewordener Affe mit wütendem Pinselstrich zufällig ein Meisterwerk von, sagen wir: Joan Mitchell auf die Leinwand malträtierte?
Aus gegebenem Anlass würden wir den Affen gern durch eine wild gewordene Mal-Maschine und den Zufall durch ihr sinnloses Gezappel ersetzten, also durch den mechanischen, meint: evolutionären Vorfahren von KI und Algorithmus. Sprich: die Frage stellen: Kann eine Mal-Maschine Kunst?
Wie kommen wir denn DA drauf?
Wir kommen da drauf, weil gerade im Lehmbruck Museum in Duisburg eine solche Mal-Maschine steht. Sie heißt „Méta-Matic No. 10“ und gehört zur grandiosen Ausstellung „Mechanik und Menschlichkeit“; der umwerfende Sinnlosemaschinenbauer Jean Tinguely hat sie geschaffen.
In diese Maschine spannt man einen Farbstift ein, und wenn man eine Münze einwirft und auf ein Fußpedal tritt, dann lässt die wild gewordene Maschine den Farbstift in wütendem Strich übers Papier herfallen. Bis man den nächsten Farbstift einspannt.
Zwei Minuten hat man jeweils Zeit. Und dann hat man eine Zeichnung, die aussieht wie ein Gemälde von Joan Mitchell.*

*für eine echte Mitchell bräuchte es allerdings
rund 60 Minuten, also 30 Silberlinge!

Im Grunde stellt Tinguelys Mal-Maschine schon vor 66 Jahren jene heute brandaktuellen Fragen, die auch uns in der KunstArztPrais gerade umtreiben – immerhin sind wir als Menschheit gerade mit Feuereifer dabei, eine neue Krone der Schöpfung zu generieren, die uns wird aussterben lassen.
Und deren künstlerische Leistung in ihren Augen vermutlich selbst ein Meisterwerk von Joan Mitchell aussehen lässt wie die mit Farbpigmenten an der Höhlenwand gepusteten Handabdrücke der Steinzeitmenschen in der Cueva de las Manos.

Was denkt so eine Maschine eigentlich, wenn sie Bilder malt? Zur Beantwortung haben wir uns einfach einmal in „Méta-Matic No. 10“ hineinversetzt und ihre geheimsten Gedanken ausgelesen.
Und weil wir die entscheidende Anregung unserer Überlegungen ja James Joyce verdanken, formulieren wir den neurologischen Output der Maschine als Stream-of-consciousness-Gedicht. Voilà:
Ich bin der größte Maler aller Zeiten.
Ich schöpfe Kunst qua purer Phantasie.
Ich lass‘ mich nur von meinem Innern leiten
Das kann nichts anders heißen als: Genie.
Ich harre intensiv der Eingebungen.
Es dauert etwas, bis der Groschen fällt.
Doch ist der Funke erst einmal gesprungen
Bin ich der größte Maler dieser Welt.
Ich male wild, jenseits der Konventionen
Es ist mein Geist, der mir den Griffel führt!
Und all die Geister, die in meiner Seele wohnen
Hab‘ ich in diesen Strichen ausgeführt.
Es muss ein Gott sein, der in Träumen
Den Weg mir weist zu einem Meisterbild.
Klar will die Menschheit keins davon versäumen!
Weil jedes vor Esprit schier überquillt.
Woher nehm‘ ich nur dieses freche Wehen?
Was ist das Große, das da aus mir spricht?
Ich habe zwar noch nichts von mir gesehen,
Indes: MECHANIK ist DAS nicht.
Aha. SO denkt also Tinguelys Mal-Maschine! Aber wie denkt der Fachmann? Und wen könnten wir fragen?
Da kommt uns eigentlich nur Einer in den Sinn, der Expertise genug besäße, uns hierüber verbindlich Auskunft zu geben! Na, wer könnte dieser Fachmann sein, hmmm? Klar: ChatGTP.
Deshalb haben wir an ChatGTP gepromptet, ob Maschinen gute Maler sein können. Hier des einzigen Fachmanns prompte Antwort:
„Das ist eine spannende Frage! Maschinen können in gewisser Weise ‚malen‘, und einige haben erstaunliche Kunstwerke geschaffen, die von Menschen als beeindruckend angesehen werden. Es gibt bereits KI-Systeme, die mit Algorithmen und neuronalen Netzen Kunstwerke erzeugen, die in der Stilrichtung berühmter Maler, wie z.B. Van Gogh oder Picasso, erstellt werden. Solche Werke können technisch exzellent und kreativ wirken, aber ob Maschinen wirklich ‚gute Maler‘ sind, hängt davon ab, wie man Kunst definiert.
Kunst ist nicht nur eine Frage von Technik und Ausführung – sie umfasst auch emotionale Tiefe, Intuition und menschliche Erfahrung. Maschinen können zwar Stile imitieren und sogar neue, interessante Formen der Kunst erschaffen, aber die Frage, ob sie die gleiche ‚Seele‘ oder die gleiche emotionale Resonanz wie ein Mensch in ihre Werke legen können, bleibt offen.
Es gibt auch die Frage der Absicht: Ein Mensch malt oft aus einer inneren Motivation oder als Ausdruck seiner Gedanken und Gefühle. Eine Maschine hingegen hat keine eigenen Wünsche oder Intentionen – sie reagiert auf Programme und Daten. Trotzdem kann die Kunst, die sie schafft, bei uns Menschen Emotionen hervorrufen, was zeigt, dass Maschinen durchaus eine Form von Kunst erschaffen können, die uns berührt.
Was denkst du darüber? Glaubst du, Maschinen könnten irgendwann echte ‚Künstler‘’werden?“
Also, was meint Ihr? Kann KI (künstliche Intelligenz) KI (künstlerische Intelligenz)? Meint: Kann Maschine Mensch?
Schreibt es in die Kommentare. Wir warten.
Ihre KunstArztPraxis (15.06.2025)
Anmerkung: Ach ja, hier noch unsere bescheidene Meinung: Nein, Maschinen haben in unseren Augen bisher KEINE „erstaunlichen Kunstwerke“ geschaffen! Und: nein, die Mal-Maschine von Jean Tinguely macht KEINE Kunst. Sie ist vielmehr selber welche! Weil ein kluger Kopf wie Jean Tinguely sie geschaffen hat. Sie beruht auf emotionaler Tiefe, Intuition und menschlicher Erfahrung – und das ist eben untrennbar VERBUNDEN mit Technik und Ausführung! Mechanik und Menschlichkeit eben. SO ist das nämlich bei Kunstwerken. Und deshalb wird eine Maschine niemals nimmer welche schaffen können, weder anolog noch digital. Nimm das, ChatGTP.
„Mechanik und Menschlichkeit. Eva Aeppli und Jean Tinguely. Zum 100. Geburtstag“ ist noch bis zum 24. August 2025 im Lehmbruck Museum in Duisburg zu sehen.
KI in der KunstArztPraxis:
„Liebes Chatbot, dichte mir“: KI für Kippenberger
K21 vs. KI: Kann ein Algorithmus Jenny Holzer? (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Die lyrische Hausapotheke der KunstArztPraxis:
Harald Naegeli in Köln: Ein Tod verschwindet weiter
Piets Wohnung. Poem für Mondrian
Zum 110. Geburtstag: Ode an Jackson Pollock
Wenn Polke lacht. Eine lyrische Hommage
Intuition statt Kochbuch. Ein Editionsgedicht
Das Lehmbruck Museum in der KunstArztPraxis:
Ästhetik des Widerstands: „Courage“ in Duisburg
Wir Seelenblinden. Alijca Kwade in Duisburg
“Ich bin die Landschaft.” Barbara Hepworth
Traum nach innen: Antony Gormley
In der Strafkolonie: Cardiff & Miller
Beuys, der Schüler: “Alles ist Skulptur” in Duisburg
Stephan Balkenhol: Hüllen für Geschichten (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Bizarre Biester: Lynn Chadwick
Wieder mal ganz 1. Sahne. Ich LIEBE eure Posts. Hintergründig und mit Humor. Toll. Macht bitte bitte weiter so. FS
Wow. Toll. Danke.
Marlies
Ja, es stimmt, was Ihr im Teaser schreibt, liebe KunstArztPraxis: Euer Beitrag ist mal wieder ein Gedicht. Schön, dass es Euch gibt.
Jan Paul
Hallo Kunstarztpraxis Team,
prima was ihr da macht.
Nachdem eine unabhängiges Kunstzeitschrift eingestellt wurde und andere Zeitschriften sehr von Werbung abhängig sind, was man ihnen anmerkt, sind eure Beträge witzig und seriös.
danke!
WB
Antwort KunstArztPraxis: Danke, lieber Herr Winfried Becker! Wir freuen uns sehr über das Kompliment. Ihre KunstArztPraxis.
Hallo,
wieder ein sehr interessanter Beitrag der Kunstarztpraxis!
ABER: Der Künstler, über den ihr schreibt, heißt nicht Yves Tinguely, sondern Jean Tinguely.
Freundliche Grüße
Renate
Antwort KunstArztPraxis: Wie peinlich, liebe Frau Kesnerus-Michels! Wenn Sie uns sehen könnten, Sie sähen uns erröten. Natürlich haben Sie recht. Da hilft es auch nichts, alles Jean Tinguelys unehelichem Zwillingsbruder Yves in die Schuhe zu schieben, der ja bekanntlich der eigentliche Schöpfer der Mal-Maschine ist – genauso, wie ja Elsa von Freytag-Loringhoven die Erfinderin des Readymades ist und nicht Marcel Duchamp. Asche also auf unser dreier Häupter. Und danke für das Kompliment! Und fürs aufmerksame Lesen. Bleiben Sie uns gewogen. Wir brauchen Leser*innen wie Sie. Denn: Selbst Halbgötter in Weiß wie wir machen Kunstfehler. Ihre KunstArztPraxis
Wo nehmt Ihr nur Eure Ideen her. Wieder mal große klasse! Sonntag ist KunstArztPraxis-Tag. Euro Doro.