Heinz Edelmann: „‚Yellow Submarine‘ war ein Desaster“
Vor 55 Jahren ging der Grafiker Heinz Edelmann von Düsseldorf nach London, um als Art Director mit seinem Team innerhalb nur eines Jahres den Beatles-Klassiker „Yellow Submarine“ (1968) grafisch zu konzipieren und zu zeichnen. Sein Fazit: Poppig und bunt sind die Achtundsechziger nie gewesen.
Als Heinz Edelmann uns 2008 zum ersten Mal anrief, wie wir uns zu erinnern glauben aus Amsterdam, war er schon todkrank, sehr zuvorkommend und schwer im Unrecht.
Er danke herzlich für unsere Anfrage, sagte er mit gebrochener Stimme, das Atmen fiel im schwer, aber er könne uns nicht helfen: Zu seiner Arbeit mit den Beatles könne er nichts sagen. „Die Sechzigerjahre waren eine schreckliche Zeit.“
Sein letztes Interview war unser bestes
Und dann sprudelten die Geschichten nur so aus ihm heraus, dass wir uns bis heute dafür verfluchten, das Tonbandgerät nicht einfach mitlaufen gelassen zu haben. Es ging um sein ganzes Leben, seine Arbeit für den WDR, sein prägendes Design für Klett Cotta, den Vorspann für das von uns geliebte Format „Der phantastische Film“ im ZDF. Wir haben das alles, leider, vergessen.
Damals konnten wir Heinz Edelmann doch noch dazu überreden, zu einem späteren Termin mit uns über „Yellow Submarine“ zu sprechen. Es war vermutlich das letzte Interview, das er vor seinem Tod im Jahr darauf gegeben hat. Für uns war es das beste Interview unseres Lebens. Dem großen Heinz Edelmann sei Dank.
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Hier ist es also noch einmal, zum 55. Jahrestag der World Gala Premiere von „Yellow Submarine“ am 17. Juli 1968 um 20 Uhr im London Pavilion am Piccadilly Circus. Voilà:
KunstArztPraxis: Herr Edelmann, Sie haben uns bei unserem letzten Gespräch gesagt, die Musik der Beatles schon damals nicht sonderlich gemocht zu haben. Warum?
Edelmann: Ich war nie der große Popmusik-Adept, und Ringo Starr ist auch nicht gerade der begnadetste Musiker. Für mich bestehen die Beatles aus ein paar ganz netten Liedchen, die allerdings immer noch frisch wirken – im Unterschied zu den Rolling Stones, die heute ja nur noch Museumsdiener in ihrem eigenen Museum sind.
Trotzdem erinnere ich mich nicht, damals beim Kreischen mitgemacht zu haben.
KunstArztPraxis: Wie kam es zu „Yellow Submarine“?
Edelmann: Man muss vorausschicken, das es schon über 50 kurze Beatles-Trickfilme gab, die für den amerikanischen Markt produziert worden waren und auf Wunsch der Beatles in Europa fast nirgendwo gelaufen sind. Die wurden überall dort gemacht, wo Animation damals billig war, also auch in London. Einer der Produzenten hatte sich die Songrechte an „Yellow Submarine“ gesichert und wollte schnell absahnen mit einer abendfüllenden Sache.
Vorhanden war die Gier, vorhanden war der Titel. Was fehlte, war irgendeine Idee. Da hat man allerlei probiert, was nicht funktionierte. Und in der Not, sozusagen am Boden des Fasses, stieß man auf mich.
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KunstArztPraxis: Warum gerade Sie? Womit hatten Sie sich einen Namen gemacht?
Edelmann: Einen Namen habe ich eigentlich nie gehabt. Aber ich illustrierte damals viel für die Zeitschrift „Twen“, die irgend jemand aus dem Umfeld des Produzenten kannte. Und der hat dann gesagt: Fragen wir doch mal den Edelman. Im Nachhinein wurde das Gerücht gestreut, man habe zuvor viele weltberühmte Leute gefragt und ihnen viel Geld geboten, aber das ist nicht wahr.
KunstArztPraxis: Wie war das, aus Düsseldorf nach London zu gehen?
Edelmann: Vom hochzivilisierten Rheinland in die Wildnis Londons zu kommen war für mich ein Schock. Düsseldorf war ja eine Insel des seligen Konsums, und auch an der Kunstakademie herrschte trotz Joseph Beuys vor allem Harmlosigkeit. Und dann kam ich ins überaus arme, graue London und hatte nicht einmal eine funktionierende Toilette.
Der aufrechte Düsseldorfer hatte ja noch nie einen Arbeitslosen aus der Nähe gesehen. Und hier sagten meine Kollegen: Das ist das erste Weihnachten seit Jahren, an dem ich nicht arbeitslos bin. Da habe ich mich sehr geschämt.
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KunstArztPraxis: Wie war die Arbeit an „Yellow Submarine“?
Edelmann: „Yellow Submarine“ war eine der desorganisiertesten Produktionen der Filmgeschichte. Eigentlich ein Desaster. Die Kompetenzen waren überhaupt nicht klar. Es gab kein Drehbuch, und bis zur Premiere versuchten zehn unterschiedliche Parteien, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Da gab es endlosen Streit und endlose Intrigen und endlose Kompromisse.
Ich war nach London gekommen, um Animation lernen, und dann stellte sich heraus, dass es nichts zu lernen gab und die Arbeit aus dem bestand, was ich daraus machen würde.
KunstArztPraxis: Und was haben Sie daraus gemacht?
Edelmann: Jedenfalls nicht das, was ich draus machen wollte. Ich habe elf Monate lang zwanzig Stunden Tag und Nacht am Zeichenbrett gesessen. Da war keine Zeit nachzudenken. Der Film hangelt sich von einem schweren handwerklichen Fehler zum nächsten.
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Im Grunde gibt es aber zwei zeitgenössische Dinge, die man heute noch darin wiederfindet: Das eine ist eine ungeheuere Unschuld, eine Naivität, die damals wirklich vorherrschend war. Das andere ist eine neurotische Atmosphäre, die auch viel über die Zeit verrät. Damals hat ja jeder der Beteiligten seine Neurosen in diesen verfluchten Film eingebracht.
KunstArztPraxis: Wie war die Zusammenarbeit mit den Beatles?
Edelmann: Eine Zusammenarbeit hat es eigentlich nicht gegeben. Die Beatles wollten den Film ja nicht. Wir haben uns einmal getroffen und uns dann in einer üblen Spelunkengegend in Soho winkend voneinander verabschiedet. Das war es schon.
Die Beatles machten gerade ihre Magical Mystery Tour und waren bei Guru Maharishi Mahesh Yogi in Indien. Zudem war gerade ihr Produzent Brian Epstein gestorben. Die hatten andere Sorgen als „Yellow Submarine“.
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KunstArztPraxis: Haben die Beatles den Film denn gemocht?
Edelmann: Ja, sie haben sich noch mal gemeldet und waren wohl zufrieden. Aber das war mir nicht wichtig. Ich habe den Film ja nicht für die Beatles gemacht. Der Film ist nicht so geworden wie ich es gern gehabt hätte, und das wiegt schwerer als das Lob.
KunstArztPraxis: Wie haben Sie 1968 empfunden?
Edelmann: Nach offizieller Meinung waren die Jahre vor 1968 voller Öde, Enge und grauer Erstarrung, in die dann mit einem Schlag Farbe und Leben und Dynamik einbrach. Meine persönliche Meinung ist genau gegenteilig.
Für mich war die Phase von 1955 bis 1965 die innovativste der gesamten Nachkriegszeit. Alles, was kulturell später kam, hat hier seine Wurzeln. Auch die Musik der Beatles ist ja nicht erst 1968 in die Welt gekommen. Mit 1968 verband ich schon damals Enge, Öde und graue Erstarrung.
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KunstArztPraxis: Aber sie haben doch mit „Yellow Submarine“ Farbe in die Zeit hineingebracht!
Edelmann: Die Welt ist durch 1968 nicht farbiger geworden, auch nicht durch den Film. Das Jahr hat ja vor allem die Reichen befreit: Der befreite Mensch von damals hatte Geld, trug bunte Kleidung und fuhr einen handbemalten Rolls Royce. Und es hat die Welt von der Realität befreit.
Seit 1968 gibt es in den USA und in Europa kaum noch Realität, sondern nur noch beliebige Meinungen. „It’s all in the mind“, hieß das bei George Harrison.
KunstArztPraxis: Haben Sie denn zumindest die 68er-Generation mit „Yellow Submarine“ beeinflusst?
Edelmann: Ich hoffe nicht.
Das Interview entstand 2008 für den WDR. Wie gesagt: Es ist bis heute unser bestes.
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Anmerkung: Der 1934 in Aussig (Böhmen) geborene Grafiker Heinz Edelmann studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie und prägte über zehn Jahre die Jugendzeitschrift „Twen“ maßgeblich mit. Ab 1967 war er als Art Director für die Umsetzung von „Yellow Submarine“ verantwortlich. Als Chef von rund 200 Animatoren, Coloristen und Phasenzeichnern erfand er alle Figuren, zeichnete einen Großteil der Entwürfe und gab dem Film seine stilbildende Farbigkeit.
„Yellow Submarine“ kam 1968 in die Kinos. Er erzählt ein psychedelisches Popmärchen über die Macht der Musik: Durch einen Angriff der Blaumiesen auf das Pepperland wird die „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ in einer gigantischen Blase gefangen.
Ein gelbes U-Boot macht sich auf die Suche nach den Beatles, die mit ihren Songs das Land befreien. Bis auf eine Realfilmsequenz am Ende des Films und den Soundtrack wirkten die Beatles an „Yellow Submarine“ nicht mit. Heute gilt die Produktion als eines der interessantesten Filmzeugnisse seiner Zeit.
Heinz Edelmann († 21. Juli 2009 in Stuttgart) sah das, siehe oben, offenbar anders.
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Ganz großartiges Interview. Zeigt an, daß das eigene Urteilen nicht der Wahrnehmung anderer entsprechen muss. Danke!
Heinz Edelmann. Er war mein Lehrer. Er hat mir geholfen, das Banale zu wagen und mich nicht hochmütig besser zu fühlen. Er hat mir geholfen, mit Mut meine Arbeit zu machen. Bis heute. Danke.
Antwort KunstArztPraxis: Wir danken auch. Von solchen Kommentaren leben wir. Ihre KunstArztPraxis.
Ganz wunderbar, einen Künstler derart uneitel, selbstkritisch, lapidar, wahrhaftig und mit trockenem Humor über sich, seine Zeit und seine (großartige) Arbeit reden zu „hören“. Eine Anmerkung noch zu „Twen“. Da gab es noch einen genialen Illustrator und Zeichner:Hans Georg Hillmann. Der es unbedingt verdient mit einem Artikel bedacht zu werden.
Antwort KunstArztPraxis: Ja, es war ein wundervolles, ergiebiges Gespräch. Und: Wegen Hans Georg Hillmann machen wir uns schlau. Ihre KunstArztPraxis
Danke und beste Grüße
Antwort KunstArztPraxis: Und wir haben uns wie versprochen schlau gemacht. Auch Hillmann war in seinem Fach ein Großer. Da haben sie recht. Ihre KunstArztPraxis
also – ihr interview-beitrag zum harten brot der frühen jahre ist amüsant und ziemlich traurig zugleich. edelmann beschreibt sein animatorisches scheitern am filmprojekt „yellow submarine“ mit bewundernswerter selbstkritik, die aber künstlerisch gar nicht angebracht ist. was er aber an verbitterung mit blick auf die produktionsbedingungen darstellt kann ich nachvollziehen. allein die technischen voraussetzungen für das künstlerische genre der animation waren zu jener zeit ein wahres abenteuer.
das nahm man in kauf, weil musik – rock, pop, blues – in verbindung mit dem genre der zeichnung damals überraschende rezeptionsästhetische ähnlichkeiten aufwiesen. davon kann auch mein zeichnerisches ego – um im bild zu bleiben – ein liedchen singen. meine erfahrungen , die sich bei der lektüre ihres interviews als déjà-vu einstellten, betreffen den „musikladen“, der sich in den 70er jahren als hit der frühen tv-ästhetik erwies.
das, was willy fleckhaus für die revolutionierung der illustrations- und editorialgestaltung war, war michael leckebusch, der erfinder des legendären „beatclubs“ und eben des musikladens, für das musikalisch-medialisierte lebensgefühl einer ganzen generation.
wir produzierten unsere cartoon-animationen (die sarkastischen-satiren des musikladens) bei radio bremen noch mittels riesiger studiokameras mit einer crew von ton- und kamaraleuten und kreierten damit einen stakkato-stil der als avantgardistisch galt, weil er nicht nur das genre, sondern gleich den ganzen produktions-betrieb auf den kopf stellte.
obwohl satirische abstraktion und ikonografie, kritik und wirkunmittelbarkeit, medium und publikum verschieden waren, so liefen doch edelmanns und unsere produktionen zeitgeistig parallel und untergruben das bürgerlich-normierte selbstverständnis, das auf restauration aus war und nicht auf ästhetische libertinage.
das hatte – wie edelmann etwas moralinsauer monierte – mit der revolte der 68er zu tun, die ihre ästhetischen mittel aus dem widerstand gegen eine gesellschaft der vergangenheitsverdrängung ableitete und damit eine neue semiotik des medialen ausdrucks begründete – da waren nicht nur die beatles mit ihrer musik, ihren frisuren und outfits , sondern auch edelmanns zeichnungen motivierende referenzobjekte .
edelmann wurde tatsächlich als vorläufer einer stilistik, die in twen pionierarbeit leistete und sich dann in „yellow submarine“ filmisch fortschrieb, von uns, den damaligen kunststudenten, durchaus bewundert. wir wussten aber auch, dass edelmann ein adept des berühmten amerikanischen designers und illustrators milton glaser war, dessen zeichnerische ikonografie edelmann ersichtlich beeinflusst hatte (s. > das berühmte bob dylan platten-cover glasers von 1966).
auch deshalb ist kaum zu verstehen, warum edelmann diesen zeithistorischen kontext, der natürlich auch seine arbeit bestimmte, offenbar nicht richtig einzuschätzten vermochte, obwohl er doch mittendrin war – aber vielleicht gerade deshalb.
Vielen Dank für die Reise in meine Kindheit und den Drang später Design zu studieren, und das auch noch in London.
Ein wunderbarer, poetischer Film und ein zauberhafter Mann und Künstler. Er war mein Lehrer in Köln und selten da. Aber wenn er da war und es gelang ihn in ein Gespräch zu verwickeln, war es toll und sehr inspirirerend,- er steckte voller Geschichten.
Dieser Beitrag ist ein Geschenk. Danke!