An der Schnittstelle: Louisa Clement in Bonn
Louisa Clements Werk verfolgen wir schon seit vielen Jahren – und jedes Mal sind wir verblüfft, wie konsequent es sich bei gleicher Fragestellung weiterentwickelt hat. Im Kunstmuseum Bonn hat uns Clement mit einer Menschheit konfrontiert, die selbst für Gott überflüssig geworden ist. Und mit einem vererbten Gedanken.
Wir Drei von der KunstArztPraxis haben viele Gemeinsamkeiten, die uns immer wieder überraschen – und wir meinen nicht das Sauerland. Unsere Geschmäcker sind erstaunlich ähnlich, unsere Bibliotheken ebenso. Und hin & wieder haben wir sogar dieselben unheimlichen Gedanken.
So dachten wir alle Drei mit acht, neun Jahren einmal kurz, der einzige Mensch auf der Welt zu sein: umgeben von seelenlosen Androiden. Und jetzt wird’s noch unheimlicher: Alle unsere Söhne haben mit acht, neun Jahren mal das Gleiche gedacht! Nur war die Welt da schon eine Matrix mit Avataren.
Und jetzt kommt der objektive Zufall:
Einen von uns befiel der Gedanke sonntags beim Gottesdienst angesichts der beim Wandlungs-Ritual unisono dem Priester kniend antwortenden Gemeinde. Und jetzt kommt der objektive Zufall: Louisa Clement hat dieses im Sauerland Erlebte im Kunstmuseum Bonn virtuell umgesetzt.
Zumindest ein bisschen. Und natürlich aus anderen Gründen.
In der anlässlich der Verleihung des Bonner Kunstpreises gezeigten Ausstellung “Becoming Lost” gibt es momentan nämlich ein Video namens “Belivers” (2023) zu sehen, in dem ein Priester-Avatar seiner Avatar-Gemeinde eine KI-generierte Predigt hält.
Und das ist fast genauso spooky wie das, was wir an eigenen unheimlichen Gedanken in Erinnerung haben.
Es ist das kalte Abbild einer Menschheit, die sich in ihrer pseudo-sakralen Technik-Gläubigkeit auf eine absurde Weise selbst überflüssig gemacht hat.
Dank Clement hätte sogar Gott die Krone seiner Schöpfung zum Angebetet-Werden nämlich nicht mehr nötig.
Weil es inzwischen eine neue, potentiell unsterbliche, körperlose Krone gibt.
(Bild: Der Mensch als leere Gußform: Louisa Clement, “Mould 2” von 2019, Kunstmuseum Bonn, 2024)
Es geht immer auch ums Mensch-Sein bei Louisa Clement, um seine Grenzen. Die Schnittstellen zur Künstlichkeit. Bis zum Verschwinden.
Dafür hat sich die Künstlerin mit Hilfe der japanischen Sexpuppen-Industrie und der Computerlinguist*innen von der Uni Saarbrücken nach ihrem Ebenbild “Repräsentantinnen” klonen lassen, die mit den Informationen ihres Mail-Verkehrs und Daten ihres Smartphones gefüttert sind. Mit einer dieser Louisas konnte man sich bis vor Kurzem in der tollen Ausstellung “Menschheitsdämmerung” – ebenfalls im Kunstmuseum Bonn – leidlich unterhalten.
Andernorts haben wir davon berichtet.
Das ist ein wenig Schöpfergott spielen, eine bemerkenswerte Form Künstlerischer Intelligenz (KI), wie wir das seit einiger Zeit zu nennen pflegen. Uns jedenfalls eröffnet Clement mit ihren verstörenden, immer auch ironisch gebrochenen Bildern einen philosophischen Assoziationsraum, der uns sehr gefällt.
So wie das zweite Video der Schau, das sich mit dem gemeinhin als Gen-Schere bekannten Eingriff ins Erbgut – also mit der wissenschaftlichen Variante von Schöpfergott spielen – befasst: Der “Off-Target-Effekt” (2023) erzählt von einer Welt, in der der Mensch aus der DNA ungeborenen Lebens nach dem Wunsch der Eltern – oder nach dem Wunsch von inhumanen Diktatoren, Fabrikanten, Sklaven-Händlern? – alles nur Erdenkliche an Ungewünschtem herausschneiden kann.
Vielleicht sogar die unheimliche Fähigkeit zu derart gruseligen Gedanken, wie wir & unsere Söhne sie von den Androiden & Avataren mit acht, neun Jahren hatten.
Wäre der makellose Mensch dann ein ideales, gottgleiches, anbetungswürdiges Wesen? Oder wäre er vielmehr genauso aalglatt seelenlos wie jene KI-gefütterten Sex-Puppen, die er heute schon erschaffen kann? Wir glauben eher letzteres. Wir glauben, dass Gott sich bei KI-Gebeten im Grabe umdrehen würde. Wenn er denn in einem läge (sorry Nietzsche!).
Und Louisa Clement glaubt das offensichtlich auch.
Das sagt uns unter anderem das jeweils letzte Wort ihrer beiden Videos, das jeweils wieder eine ironische Pointe hat: Bei “Off-Target-Effekt” heißt es “error”, bei den “Belivers” “Amen”. Dabei ist die ganze Spannbreite menschlichen Versagens von unsinnlicher Ratio bis hin zu irrationaler Gutgläubigkeit abgedeckt.
Oder, um mit Kant zu sprechen, auf den wir kürzlich wegen des in seine Unmündigkeit eingegangenen Schlafschafs anlässlich der Kant-Ausstellung in der Bundeskunsthalle vis-a-vis zu sprechen kamen: “Gedanken ohne Inhalt sind leer und Anschauungen ohne Begriffe sind blind”.
So jedenfalls haben wir das in “Becoming Lost” in Bonn Gesehene gelesen.
Vermutlich galt dieses Kantianische auch für unsere leeren Gedanken & blinden Anschauungen im alter von acht, neun Jahren im Sauerland. Denn das sagt uns ja schon der gesunde Menschenverstand: Wären damals alle Sauerlander*innen Avatare in einer Matrix gewesen, dann würde nach den Algorithmen der Logik ja auch für uns Sauerländer bis heute dasselbe gelten.
Quod erat demonstrandum. (10.03.2024)
“Bonner Kunstpreis: Louisa Clement. Becoming Lost” ist noch bis zum 16. Juni 2024 im Kunstmuseum Bonn zu sehen. Es ist eine kleinere Ausstellung, aber der Besuch lohnt sich trotzdem! Versprochen.
Und als weiteren Anreiz bringen wir hier noch 62 Fotos von der Neupräsentation der Ständigen Sammlung: “Raum für phantasievolle Aktionen”. Läuft noch bis 31.12.2024. Voilà:
Raum für phantasievolle Aktionen, Neupräsentation der Ständigen Sammlung, Kunstmuseum Bonn, 2024
Anmerkung: Wir sind der KAP-Gemeinde noch eine Antwort schuldig! Oben hatten wir ja von den “anderen Gründen” geschrieben, die Louisa Clement zu ihren “Believers” inspiriert hätten. Diese Gründe finden sich im Aussstellungskatalog: “Ausgangspunkt dafür war eine Pressemeldung, der die Künstlerin entnommen hatte, dass sowohl in Korea wie auch auf dem evangelischen Kirchentag in Nürnberg Predigten gehalten wurden, bei denen sowohl Prediger wie Predigt von einer KI generiert wurden.” Und das ist ja fast schon spooky genug.
Das Kunstmuseum Bonn in der KunstArztPraxis:
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