Mein Name ist Haare? Frisuren im Folkwang
Momentan läuft in Essen eine Ausstellung, die sich der Mähne in der Fotografie verschrieben hat. Wir greifen uns ein paar der dortigen Haarteile heraus – und imaginieren, wie die Frisierläden wohl geheißen haben könnten, denen sie entronnen sind! Könnte also albern werden.
Als wir Drei noch Haare hatten, gingen wir gerne zum Friseur. Wobei wir uns bei der Wahl der Coiffeure gern vom Namen ihrer Läden locken ließen: Bis zur Jahrtausendwende zeugten diese Namen nämlich von einer teils enorm schnittigen Phantasie.
„Mähny for nothing“ hießen diese Läden, „NirwanHaar“, „Love is in the Hair“, „O’zopft is!“, „Hairforce One“ oder „Des einen Schneid / des Andren Freud“. Und nicht nur plump, wie heute Usus, „Barbershop“.
Das hochtoupierte Sprachspiel galt einer Kundschaft, der Mainstream & penetrantes Genitiv-Apostrophieren à la „Gabi’s Haar-Manufaktur“ zuwider war. Es ist ja wie beim Essen: Wer zu McDonald’s geht, setzt geschmacklich weltweit auf Minipli. Wer aber einen Gourmet-Griechen frequentiert, der „Feta & Söhne“ heißt: Der will sich überraschen lassen.
Überraschend sind teils auch jene Frisuren, die momentan auf den Fotos im Museum Folkwang in Essen zu sehen sind. In welchen Frisiersalons sie wohl entstanden sein könnten? Dazu macht im Folgenden Jeder von uns Dreien einen Vorschlag – und bringt dabei auch das eine oder andere Politikum aufs Toupet.
Voilà:
KunstArzt3: Suffo Moncloa: “Gucci/The Face” (2021)
In seinem für Dekadenz-Perioden aufschlussreichen Roman „Marie Antoinette“ von 1932 (!), auf den wir an anderer Stelle schon einmal zu sprechen kamen, beschäftigt sich der weithin unterschätzte Schriftsteller Stefan Zweig auch mit der coiffeur-Kunst des ancien régime, bei der sich höfische Friseure offenbar in einem grotesken Toupierturnier zu überbieten suchten.
Am Ende waren die adeligen Damen offenbar derart haarverlängert, dass sie in der Kutsche nicht mehr sitzen konnten, sondern knien mussten, um nicht mit ihrer création an die Decke zu stoßen.
Suffo Moncloa, „Gucci/The Face“, 2021, Museum Folkwang, Essen 2024 (wir finden: falsch herum)
Nicht nur der guillotineartige Kragen auf Suffo Moncloas Foto legt nahe, dass sich der Friseur bei der Haartracht dieser Gucci-Kampagne von der Ondulierkunst am französischen Hof hat inspirieren lassen. Wir nehmen deshalb an, dass er in einem Laden arbeitet, der „Le Haar, c’est moi“ heißen muss.
Auch denken wir, dass das Foto im Folkwang falsch herum hängt – also so, wie von uns vorgeschlagen hängen müsste! Denn das verhairende Schicksal der adeligen Trägerinnen derartiger Schnitte in der Französischen Revolution ist ja bekannt.
Das erklärte auch den offenen Mund.
Suffo Moncloa, „Gucci/The Face“, 2021, Museum Folkwang, Essen 2024 (wir finden: richtig herum)
KunstArzt1: Herlinde Koelbl: „Angela Merkel“ (1992 / 2006)
Haare können eine Botschaft sein. Wer sich zum Beispiel die durchgeknallten Frisuren heutiger Rechtspopulisten auf der ganzen Welt anschaut, kann darin lesen wie in einem offenen Buch.
„Natürlich bin ich verrückt – sogar bis in die Spitzen!“, lautet diese Botschaft. „Ich leugne das doch gar nicht! Mein haarsträubender Irrsinn ist mir ja wie aus dem Gesicht geschnitten!
Ich bin auch innen jener trashige Horror-Clown, den ihr von außen seht, ihr könnt mir also vertrauen! Wählt mich. Es soll euer Schaden nicht sein!“
Herlinde Koelbl: „Angela Merkel“ (1992), Museum Folkwang, Essen 2024
Diese Botschaft scheint einen Gutteil heutiger Wähler*innen zu überzeugen.
Früher war das anders, zum Beispiel, wie auf den Fotos von Herlinde Koelbl ersichtlich, bei Angela Merkel. Bei ihr sagten die Haare: „Alles bleibt beim Alten, keine Sorge: Wir garantieren Beständigkeit bis in die Wurzeln!
Wir sind – dem Wohlstand sei dank! – im Laufe der Jahre höchstens etwas fülliger geworden. Wählt uns, ihr könnt uns vertrauen! Es soll euer Schaden nicht sein!“
Oder, wie es der Volksmund sagt: „Schönheit vergeht, Haarschnitt besteht“.
Herlinde Koelbl: „Angela Merkel“ (2006), Museum Folkwang, Essen 2024
Deshalb hat Angela Merkel auch nie den Friseur gewechselt! Sie geht seit über 30 Jahren ins „Fundament“ in Ost-Berlin. Wie übrigens die halbe CDU.
Die Mähnen heutiger Rechtspopulisten hingegen entstammen allesamt dem einseitigen Frisuren-Vorschlagsblatt des Salons „Kaiserschnitt“. Dessen Name allerdings einen subversiven Subtext hat:
Er gemahnt den zum Wahnsinn neigenden Tyrannen nämlich auch dramatisch subtil daran, von anderen Tyrannen „abgewählt“ werden zu können, sofern sie „keines Weibes Schoß gebar“.
Aber DIESES Buch zu öffnen & daraus zu lernen, bleibt den Rechtspopulisten verschlossen.
KunstArzt1: Bubu Ogisi und Weronika Gesicka
Die Älteren unter uns werden sich erinnern: Es gab mal eine Zeit, da wütete in Deutschland die Seuche. Damals nutzte die böse Politik im Verbund mit der bösen Wissenschaft die allgemeine Verwirrung schamlos aus, um ihrer Bevölkerung durch Masken den Mund zu verbieten – und Jedermann und Jedefrau musste genau da, wo er oder sie sich gerade schnäuzerte, in Quarantäne.
Wer Querdenker war und das Glück hatte, beim Seuchen-Schnäuzern in einem Frisiersalon zu sitzen, der konnte sich vor Ort mittels Extensions eine undurchsichtige Mähne basteln lassen, mit der sich die Maskenpflicht trefflich umgehen ließ. Und es ist natürlich klar, wo das auf Bubu Ogisis Foto zu sehende Mähnen-Exemplar extensioniert wurde. Na, wo wohl, hmmmm? Natürlich im Frisiersalon „Lock Down“.
Das unten abgebildete Pärchen indes befand sich während der Seuchen-Quarantäne auf einem romantischen Verföhnwochenende in Bart Kissingen.
Wir selbst vermuten übrigens schon seit Längerem, dass der Verlust unserer tollen Tollen mit der Phantasielosigkeit heutiger Frisiergeschäftsnamen in ursächlicher Verbindung steht! Dieses Barbergeshoppe allenthalben ist ja auch wirklich zum Haare-Raufen.
Jetzt wollen wir hier aber mal einen Cut machen – nicht ohne den geneigten Leser*innen allerdings schnell noch „Grow It, Show It!“ sehr ans Herz zu legen. Wir jedenfalls hatten eine Schau-Freude, die in Dauerwellen kam. Und danach waren wir noch bei „Feta & Söhne“ lecker essen.
Bitteföhn. Dankeföhn. Ihre KunstArztPraxis (08.12.2024)
„Grow It, Show It! Haare im Blick von Diane Arbus bis TikTok“ ist noch bis zum 12. Januar 2025 im Folkwang Museum in Essen zu sehen.
Apendix: Herr Strelow. Eine deutsch-deutsche Frisiergeschichte
Als wir Drei noch Haare hatten, gingen wir gerne zum Friseur. Am liebsten gingen wir zum „Intercoiffeur Strelow“ um die KunstArztPraxis-Ecke: Er hatte begnadete Scherenhände. Und weil wir neugierig waren und Herr Strelow als Vertreter seiner Zunft leutselig war, erfuhren wir schnell die hinter dem Namen steckende Geschichte.
1956 war besagter Herr Strelow nämlich deutscher Meister im Frisieren geworden, und zwar im Land der Intershops: der DDR. Weil er sich aber bei der Preisverleihung haartnäckig geweigert hatte, während der Nationalhymne aus den Ruinen – in diesem Fall: aus dem Friseurstuhl – aufzustehen, wurde ihm der Titel sofort wieder aberkannt.
Seiner Zukunft zugewandt, machte Herr Strelow deshalb vor dem Mauerbau noch rüber – was um ein Haar schief gegangen wäre! –, nahm aber neben Scheren & Messern, Bürsten & Kämmen, Föhnen & Trimmern zur Sicherheit auch das in der DDR Devisen versprechende Präfix „Inter“ im Fluchtkoffer mit.
Im Westen angekommen ließ sich Herr Strelow in der vormals von Napoleon besetzten Ondulier-Metropole Köln nieder: daher das – seiner Kundschaft Glamour verheißende – Inter-Suffix „Coiffeur“: „Intercoiffeur Strelow“ vereinte somit die beiden deutschen Staaten und ihre – teils ja auch äußerst haarige! – Historie wie die Schraube einer Effilierschere ihre beiden zackigen Blätter.
Inzwischen ist Herr Strelow in Ruhestand, den Tönungscreme-Löffel hat er an eine sehr sympathische Deutsch-Türkin abgegeben, Und die ist mindestens genauso leutselig, sprich: zünftig wie er.
Die ondulierte Prä- und Suffix-Kombi „Intercoiffeur“ hat ihr offenbar gefallen, sie hat sie beibehalten. Aber etwas eigener Esprit musste dann doch noch mit unter die Trockenhaube. Deshalb heißt der Laden jetzt „Intercoiffeur Deluxe“.
Auch DAHIN würden wir gehen. Wenn wir denn noch Haare hätten.
Das Museum Folkwang in der KunstArztPraxis:
“Kippenbergers Kosmos steckt im ‘Kafka’”
Lebenslanges Türenöffnen: Tomi Ungerer zum 90.
Große Klasse!!! Hab mich beömmelt. 🙂 Danke!!! Die Ausstellung werde ich besuchen. Moritz
Antwort KunstArztPraxis: Danke, Herr Moritz! Und der Vorsatz ist löblich. Ihre KunstArztPraxis
An die Zeit der originellen Friseurnamen kann ich mich auch noch erinnern. Wie lustig aber euer Stück dazu! Ihr seid echt die Größten!!! Danke vielmals, Marlene. P.S.: Mir fällt noch „Sindbart“ ein ;-).
KunstArztPraxis: Hairzlichen Dank, Frau MarleneF – auch für den „Sindbart“!