Für uns von Putin eingeholt: „City Limits“ in Düsseldorf
In „City Limits“ in der Kunsthalle Düsseldorf setzen sich drei Bildhauerinnen künstlerisch mit Bauen und Zerstören städtischer Architekturen in Krieg und Nachkriegszeit auseinander. Indirekt hat das viel mit Hitler und Stalin zu tun – und für uns jetzt eben auch mit Putin. Eine leise, feine Schau. Aber lärmend aktuell.
Einer von uns hat Kinder mit ukrainischen Wurzeln. Zu ihrer Taufe gab es Krimsekt, der laut Etikett aus der Ukraine stammte, eine Flasche haben wir noch. Den Sekt hatte der deutsche Großvater aus Kiew mitgebracht. 1992 war er ins benachbarten Browary gegangen, um in der noch jungen Republik als Unternehmer eine Pharmafabrik für Tiermedizin aufzubauen, seitdem pendelte er zwischen Köln und der Ukraine hin und her.
Heute telefoniert der Großvater oft mit Freunden, deren Familien sich zum Teil vor den Raketen in den Karpaten verstecken. Wenn diese Freunde ihren russischen Verwandten in Moskau oder Sankt Petersburg am Handy erzählen, dass Putins Truppen Schulen und Krankenhäuser bombardieren, Frauen vergewaltigen, Zivilisten hinrichten, Städte mit Granaten förmlich pulverisieren, glauben die Verwandten ihnen nicht.
Westliche Propaganda sei das, sagen die russischen Verwandten, nichts weiter. Wie man nur darauf hereinfallen könne. So dumm sei man doch früher nicht gewesen.
Kein Geld gegen die Narben
Mord und Zerstörung, Flucht, Verschleppung, Dummheit und Propaganda: Die Barbaren-Sprache des Krieges in den Städten dieser Erde ist universell, seit Tausenden von Jahren, und überall, wenn man nur hinsieht, hinsehen kann und hinsehen will, hinterlässt sie ihre Spuren. Selbst Krimsekt kann so eine Spur sein. Aber es gibt auch klarere.
So sind wir über Jahrzehnte an den im Straßenkampf maschinengewehrzersiebten, fensterglaslosen Fassaden in Karlovac vorbeigefahren (einer von uns hat Kinder mit kroatischen Wurzeln). Entweder war all die Jahre kein Geld da, die Narben unsichtbar zu machen. Oder die Hausbesitzer waren vertrieben. Oder eben erschossen.
Das Negativ der Einschusslöcher
In Berlin gab es nach dem Zweiten Weltkrieg ähnliche Narben, überall, in der ganzen Stadt. Die meisten sind verschwunden, aber einige existieren noch, wenn man nur hinsieht – hinsehen will, hinsehen kann.
Die Bildhauerin Asta Gröting hat das getan, als Künstlerin sogar besonders gut. Ihre Silikon-Abdrücke von Hauptstadtwänden vor allem aus dem Osten, der später einmal DDR war, haben auch die Einschusslöcher – im Negativ, als Berglandschaft des Kampfes – konserviert.
Momentan hängen Grötings Skulpturen in „City Limits“ neben zwei weiteren zeitgenössischen weiblichen Positionen aus Polen und Israel. In einer Ausstellung, die durch den Angriffskrieg Putins eine erschreckende Aktualität bekommen hat.
Anmerkung: In diesem Beitrag waren bis Ende September 2022 unsere Fotos von Asta Grötings tollen Skulpturen zu sehen. Inzwischen hat die Unsichtbarkeits-Maschine an das KunstArztPraxis-Tor geklopft und wir mussten sie entfernen. Und unsere Fotostrecke mit 30 Bildern musste auch raus. Schade.
Von Satelliten und Immigranten
Monika Sosnowskas Konstruktions-Fragmente nehmen unter anderem die im Verschwinden begriffenen Architekturen der nach dem Zweiten Weltkrieg unter sowjetischem Einfluss stehenden Volksrepublik Polen aus den 1960er bis 1980er Jahren in den Blick.
Und Yael Efratis anhand von Fotografien rekonstruierte „dokumentarische Skulpturen“ entwickeln eine Typologie jener in Windeseile hochgezogenen Wohnungsbauten, mit denen Israel dem schier endlosen Strom osteuropäischer Immigranten auf der Flucht vor einem ins Gulag führenden Antisemitismus des stalinistischen Terrors nach 1945 zu begegnen suchte.
So ergibt sich vom Krieg über die Vertreibung bis zum Aufbau neuer Strukturen eine rote Linie.
Auch „City Limits“ zeigt es also deutlich auf: Es gibt Erbauer und Zerstörer auf der Welt. Diktatoren wie Hitler, Stalin oder Putin gehören zur letzten Kategorie, Architekt*innen und Städteplaner*innen zur ersten. An beides kann man nicht genug erinnern.
Wiederaufbau mit anderen Mitteln
Künstler*innen bleibt es vorbehalten, die Rudimente der Erinnerungen so zu verwandeln, dass sie selbst dann erhalten bleiben, wenn ihre Pendants im Stadtbild verschwunden sind. Damit nicht vergessen wird. Wiederaufbau mit anderen Mitteln.
Auf all das weist „City Limits“ hin. Aber nicht auf belehrende, sondern auf sehr sanfte, reflektierte, strukturierende Art, aus der sensibel-distanzierten Sicht dreier Nachgeborener, die in Berlin, Warschau und Tel Aviv mit diesen historischen Spuren leben. Das geht alles sehr leise vonstatten: Auch hier muss man nicht hinschauen, wenn man nicht will.
Oder man kann anders schauen. Auf formale Elemente des Urbanen zum Beispiel, auf die individuelle Stofflichkeit der Städte. Auf teils vielleicht auch hoffnungsfrohe Geschichten, die sich hinter geheimnisvoll – aus Klimaanlagen? – ablaufenden Flüssigkeiten oder einem plötzlich auftauchenden Schlüssel verbergen. Und rein skulptural, komplett aufs Künstlerische bezogen schauen geht auch.
Uns allerdings hat Russlands Angriffskrieg die freie Sicht auf die Exponate doch etwas verbaut. Und wenn Monika Sosnowska eine Treppe auseinandergefaltet und ihrer Ursprungsfunktion enthoben auf dem Boden der Kunsthalle ausbreitet, dann sehen wir eben auch einen Panzerwall.
Für uns hat diese Vielfalt der Deutungsmöglichkeiten den Besuch der – im Übrigen herrlich licht arrangierten – Ausstellung trotzdem noch eindrücklicher gemacht. Denn auch diese Polyphonie ist ja eine Form des Widerstands, und wer das ganze Leid und Elend in den Medien nicht mehr ertragen kann, der mag sich vielleicht durch diese feine Kunst sensibel halten.
Wir jedenfalls haben in „City Limits“ spontan beschlossen, die letzte Flasche ukrainischen Krimsekts mit unseren inzwischen zum Gutteil schon erwachsenen Kindern zu trinken, sobald mit dem Wiederaufbau dessen begonnen werden kann, was Putins barbarische Horden niedergebombt haben. Und mit dem Großvater, der noch um sein Lebenswerk in Browary bangen muss, natürlich auch.
Vermutlich schmeckt der Sekt nach all den Jahren süßlich-schal. Aus gutem Grund. Und passender Weise: Denn selbst dann, wenn es irgendwann so käme, wie wir erhoffen, werden in den Städten und bei den Überlebenden in Kiew oder Browary, in Charkiw oder Sjewjerodonezk, in Mariupol, Butscha oder auch Odessa viele schlecht vernarbte, viele offene Wunden bleiben.
Dann kommen hoffentlich auch die russischen Verwandten einmal zu Besuch, senken an den Gräbern die Köpfe und schauen sich in den Städten an, woran sie immer noch nicht glauben wollen. (20.06.2022)
„Yael Efrati, Asta Gröting, Monika Sosnowska. City Limits“ ist noch bis zum 14. August 2022 in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen. Die Ausstellung war zuvor im Zentrum für polnische Skulptur in Oronsko zu Gast und wandert aus der Kunsthalle ins Bat Yam Museum of Art nach Israel, wo sie 2023 läuft.
Anmerkung: Von Hass-Mails bitten wir abzusehen. Und auch auf solche, die uns belehren wollen, dass die Nato und die vielen Nazis in der Ukraine Schuld seien an Putins Vernichtung, reagieren wir nicht mehr. Das haben wir an anderer Stelle schon einmal getan, das ist mehr als genug. Und wehe, es kommt uns einer mit Albert Speer und Autobahnen.
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