Der brennende Dornbusch. Katharina Grosse in Bonn
Seit 1998 bringt Katharina Grosse mit der Distanz von Schutzanzug, Atemmaske und kompressorgetrieber Sprühtechnik ungemischte Industriefarben auf Untergründe. Es entstehen Bilder des Aufbruchs, es ist ein Aufbruch der Bilder. Wie beim brennenden Dornbusch. Nur nicht mit Feuer, sondern mit Farbe.
Manchmal legen wir uns in der KunstArztPraxis selbst auf die Couch, deshalb wissen wir inzwischen, wie stark sich unser peripheres Denken unterbewusst offenbar der Bibel (Literatur) und dem Fluxus (Kunst) verdankt.
Beides kam zusammen, als wir vor Ewigkeiten wieder einmal zum Garten von Mary Bauermeister pilgerten, um unsere Seelen gesund werden zu lassen. Und da wurden wir doch gleich beim Eingang des brennenden – und wunderbarerweise nicht verbrennenden – Dornbuschs aus dem Buch Exodus gewahr.
Es war das Kunst gewordene Abbild von Gottes überzeugender Performance auf dem Berg Horeb, die den skeptischen Viehhirten Mose zur Befreiung der Israeliten aus ägyptischer Sklaverei bewegte. Und zum Aufbruch ins gelobte Land Kanaan. Vulgo, später: Palästina.
Sein Pink war das Feuer, das den nunmehr transzendierten Busch in unserem peripheren Denken mit neuen – auch politischen – Imaginationen auflud, ihn schöpferisch auf ewig in etwas Hybrides verwandelte.
Die Natur war unterschwellig noch da, aber an der Oberfläche züngelten die Flammen einer nichts verschlingenden, alles befreienden, grundsätzlich grenzenlosen, wundervoll flackernden Sprache: der Farbe.
Inzwischen haben wir den brennenden Dornbusch wiedergesehen, in doppelter Ausführung, im Kunstmuseum Bonn: inzwischen allerdings, ökologisch zeitgemäß, gefällt. Oder eben schwebend wie im Kosmos, wo oben und unten nicht existieren. Auf jeden Fall sprach er zu uns. Und sprühte immer noch nur so vor Farbigkeit. Er kann ja nicht verbrennen.
Der Dornbusch gehört zur Ausstellung der „Studio Paintings“ von Katharina Grosse, die über 40 der bisher weniger beachteten, zum Gutteil großformatigen Tafelbilder von den späten Achtzigerjahren bis zur Gegenwart versammelt. Und er illustriert besonders schön, wie weit man bei Grosse den Begriff des „Paintings“ fassen muss.
Am liebsten sprüht Grosse ohnehin nicht auf die Leinwand. Am liebsten sprüht sie, ohne den Zwang des traditionellen Trägers, direkt auf Objekte. Aber Leinwand geht auch.
Natürlich ist auch bei Grosse die Farbe nicht frei: Farbe ist ja immer Farbe VON etwas oder doch zumindest Farbe AUF etwas: selbst dann, wenn man nicht Leinwand besprüht, sondern Steine, Stahl, Tuch oder das eigene Schlafzimmer. Farbe ohne Körper oder Untergrund gibt es nicht. Wobei wir natürlich colour meinen, nicht paint.
Aber Farbe kann in ihrer Materialität ungeheuer präsent sein wie Feuer: als colour so sehr Körper, dass man den Untergrund beinahe vergißt. Sogar die Sklaverei der Ränder oder der Oberfläche kann überwunden werden, Farbe sich von der Umrahmung befreien, durch luzide Schichtung sogar nach HINTEN & nach VORNE zündeln.
Das haben wir bei Katharina Grosse gelernt. Und das ist ziemlich aufregend anzuschauen.
Bei manchen Bildern kann man förmlich sehen, dass die in großer gestischer Bewegung mit vollem Körpereinsatz aufgesprühte Farbe auf dem fernen Berliner Atelierboden Grosses weiterflammt. Dieser Boden muss eine große Übermalung all dessen sein, was auf Grosses Bildern an Farbe NICHT zu sehen ist: Wir würden ihn gerne einmal fotografieren.
Egal. Auf diese Weise denkt man die Performance der experimentellen Entstehung: den Prozess, in Bonn (wir zumindest) irgendwie mit.
Für uns sind die in Bonn gezeigten Tafelbilder so eine Art Filmstills aus Grosses gemachten Schwüngen: Filstills, auf denen einst Chronologisches jetzt gleichzeitig passiert. Es ist eine Art in Bewegung erstarrtes Flackern, ein sinnenreizendes, die Welt & den Betrachter nach innen ziehendes Flirren, das jenseits der Bilder weitergeht wie bei Feuerzungen. Deshalb ist die Umrandung des Rahmens auch keine Grenze, sondern öffnet.
Der Dornbusch ist auf den Bildern im Brennen erfroren. Aber unter unseren Blicken lodert sein Feuer wieder auf. Besser als derart metaphorisch können wir das irgendwie nicht sagen.
In diesem Sinne geht es bei Katharina Grosse unserer Meinung nach immer wieder darum, Farbe und Malerei neu zu denken, polychrome neue Welten zu erschaffen – auch, wie in Bonn zu sehen, durch die Wiederholung, die Neuinterpretation einer schon gefundenen Sprache.
Oft geht das sehr räumlich zu, oft direkt vor Ort: so 2014 bei „Inside the Speaker“, als Grosse mehrere Säle des Düsseldorfer Kunstpalasts mit Tüchern und Steinen in eine gewaltige bunte Wüste – oder einen fremden Planeten? –, auf jeden Fall in ein begehbares Gemälde, verwandelte.
Uns war das fast schon eine Spur zu aufdringlich, zu sehr Effekt. Aber wir waren versöhnt, als das Duisburger MKM Museum Küppersmühle die Arbeiten Grosses 2019 in „FARBE ABSOLUT“ den voluminös dezenten Farbkissen ihres Lehrers Gotthard Graubner gegenüberstellte. Weil: Beide Welten gaben colour auf ganz unterschiedliche Weise Gewicht.
Und zwar weil Farbe, anders als der reißerische* Ausstellung-Titel suggerierte, in beiden Fällen eben NICHT ABSOLUT war.
*ts ts ts, Herr Schmerling!
Die Bonner Ausstellung mit den „Studio Paintings“ nun ist für uns die subtilste, auch die am schönsten kuratierte. Sie zeigt in überbordender Bescheidenheit, dass Raum & Welt der Farbe dynamisch & umrahmungsoffen auch auf Leinwand geht: wenn Eine kommt, die genügend intuitive „körperliche Intelligenz“ (Katharina Grosse) besitzt.
„Ich schaffe Prototypen der Vorstellungskraft, damit sie neu inszeniert und in andere Bereiche übertragen werden können“, sagt Katharina Grosse zu dieser Offenheit ihrer Bilder. Ihre brennenden Büsche aus Farben zeigen Möglichkeit auf, colour weiterzudenken, aber die von ihnen verheißene Welt bleibt ein Bild. Ein unerreichtes Bild, könnte man sagen: ein imaginiertes, noch Aufzuladendes eben.
Ist aber nicht schlimm. Schließlich hat auch Mose das in der Dornbusch-Performance verheißene Gelobte Land nie erreicht. Nur von Ferne, als Bild auf der Netzhaut, gesehen. (16.06.2024)
„Katharina Grosse. Studio Paintings“ läuft noch bis zum 22. September 2024 im Kunstmuseum Bonn. Der Katalog ist ebenfalls eine edle Wucht.
Anmerkung 1: Wir haben oben viel von der Farbe bei Katharina Grosse gesprochen. Aber auch das seit zehn Jahren zum Teil durch Schablonen entstandene Weiße des Untergrunds ist beizeiten wichtig, die Farblosigkeit. Die Leere zwischen den Tönen, die den Rhythmus gleichberechtigt mit bestimmt. Wie die Stille bei John Cage, der auch für Katharina Grosse laut eigener Aussage ein Motor war. Das soll hier nicht verschwiegen werden.
Anmerkung 2: Ach ja: Vorm Kunstmuseum gibt es natürlich schon seit Jahren ein ganz besonderes Highlight skulpturaler Grosse-Malerei, sogar mal mit Titel: „In Seven Days Time“ (2011). Hat also nur einen Tag länger gedauert als die Erschaffung der Welt.
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Anmerkung 3: Am Ende von Mary Baumeisters Garten gab es übrigens einen zweiten brennenden Dornbusch. Und dessen Feuer war blau.
Anmerkung 4: Ja, klar: Kein Dornbusch, eher ein Dornbäumchen. Geschenkt.
immer wieder interessant, was Ihr zeigt und dazu schreibt. Danke.
Schönen Sonntag!