Das können wir auch, Herr Berges! „Off the Grid“ im MGK
Gerade hängen im Museum für Gegenwartskunst (MGK) in Siegen drei Fotos von Laurenz Berges, dem Nostalgiker unter den Becher-Schülern. Wir können uns nicht helfen, aber so richtig DOLLE finden Zwei von uns sie nicht. Das hat vermutlich mit KunstArzt1 zu tun. Der aber ganz anderer Meinung ist als wir.
Eine unserer fiktiven Lieblings-Anekdoten stammt aus Anton Tschechows großem Drama „Die Möwe“: Ilja Afanasjewitsch Schamrajew erzählt sie dort. Sie geht in unserer narrativen Transkribierung wie folgt:
Einst saß der Bass eines Kirchenchors aus der russischen Provinz auf der Galerie der Moskauer Oper, als einem berühmten Kollegen namens Silva das tiefe C gelang. Da schmetterte der Bass des Kirchenchors im Applaus des Publikums ein „Bravo, Silva!“ nach unten. Und zwar eine ganze Oktave tiefer.
„Der ganze Saal ist erstarrt“, heißt es bei Tschechow.

Was hat er, was WIR nicht haben? Laurenz Berges, „Das Becherhaus in Mudersbach“ (2018-2022). Das Foto darf aus unerfindlichen Gründen nicht beschnitten werden. MGK Siegen, 2025; © VG Bild-Kunst 2025
Wir haben „Die Möwe“ mit dem stimmlich schlichtweg unvergleichlichen Michael Tregor 1997 in den Münchner Kammerspielen gesehen, da hat er diese Anekdote vorgetragen: Bis heute klingt das in unseren Ohren nach.
Nur Thomas Bernhards „Der Schein trügt“ mit Thomas Holzmann und Rolf Boysen (Regie: Dieter Dorn) ein Jahr später ebendort war besser.
Zwei Paar Schuhe derselben Medaille
Egal: Michael Tregor in der „Möwe“ hat uns gezeigt, dass Qualität und Berühmtheit zwei Paar Schuhe derselben Medaille sein können. Wenn uns dieses schiefe Bild an dieser Stelle ausnahmsweise einmal erlaubt sein darf.
Tschechows Anekdote kam Zweien von uns wieder in den Sinn, als wir Abbildungen jener Fotografien von Laurenz Berges, die momentan im MGK Siegen hängen,, sahen. Sie gehören zur Ausstellung „Off the Grid“, weil sie im Bestand des Museums sind.
Diese Fotos zeigen das Haus der Familie von Bernd und Hilla Becher, deren Schüler Laurenz Berges war, in der Provinz von Mudersbach im Siegerland: quasi also bei uns im Sauerland um die Ecke.
Wir haben inzwischen die ganze Serie gesehen. Wir finden sie leider nicht besonders gut.

Laurenz Berges, „Das Becherhaus in Mudersbach“ (2018-2022),
MGK Siegen, 2025; © VG Bild-Kunst 2025
Berges & Höfer vs. Gursky & Ruff
Aus Transparenz-Gründen möchten wir nicht verschweigen, dass Laurenz Berges seine Seele aus Gelddrang der Unsichtbarkeits-Maschine verschrieben hat, was ihn in unseren Augen – tschuldigung! – per se schon eher, hm, sagen wir: unklug macht.
Ansonsten möchten wir sagen, dass besagte Fotos für uns ein Beleg dafür sind, dass nicht alle Becher-Schüler den Ruhm verdienen, den man Ihnen dank des Becher-Schüler-Stempels quasi hinterherschmeißt.
Das gilt in unseren Augen übrigens auch für die stets übersymmetrische Candida Höfer. Oftmals wird bei Becher-Schülern ja Ödnis durch schiere Größe retuschiert.*
*Andreas Gursky und Thomas Ruff hingegen
lassen wir gelten. Ihre Größe ist nicht schier.

Wenn man den Bildlegenden glauben darf, dann sind Berges‘ Fotos innerhalb von vier Jahren entstanden. Dazu wollen wir nurmal EINS vermerken: UNSER Fotograf, also KunstArzt1, verbringt MAXI-MAL drei, vier Stunden an einem Ort – und wenn er ihn verläßt, kommt er mit 60 bis 100 Fotos in die KunstArztPraxis zurück, die ALLE die Qualität dieser drei Bilder haben. Ungelogen!
DATT soll Kunst sein?
Natürlich ist KunstArzt1 viel zu bescheiden, um das zuzugeben (er weiß auch nicht, dass wir das hier jetzt schreiben!), aber wir anderen Zwei aus der KunstArztPraxis – siehe Hans von Hoermann, siehe Helmut Kunkel, siehe Eduard Roijen, siehe Peter Sevriens – sehen das so. Es ist ein oftmals überstrapazierter Satz, und wir sagen ihn immer wieder ungern, und die, die ihn sagen, sind uns im Grunde unserer Herzen zutiefst unsympathisch, aber: DATT soll Kunst sein?
Also: Diese Form von Lost-Place-Fotografie kann Einer aus der KunstArztPraxis – wie ganz, ganz viele Andere – och.
Wir möchten deshalb bloß noch einmal das Falter-Haus von Erwin Hapke in der Provinz von Fröndenberg in Erinnerung bringen – auch, weil das mindestens so sehr wie das Becherhaus in Mudersbach ein Erinnerungsort ist, der Erinnerung (weil: KUNST!) verdient. Das Falter-Haus und Erwin Hapke, das war WIRKLICH off the grid, liebes MGK! Voilà:
In diesem Sinne: Bravo, Laurenz Berges! Nur eben eine Oktave tiefer.
Ihre zwei (von drei) Nostalgiker(n) aus der KunstArztPraxis. (27.04.2025)
„Off the Grid. Die Sammlungen des MGK Siegen“ ist noch bis zum 31. August 2025 zu sehen. Wir denken: Es lohnt sich sicher trotzdem sehr.
Anmerkung 1: Wir wollen aus Transparenzgründen auch nicht verschweigen, dass sich KunstArzt1 gegen „diese Art der unerwünschten Lobhudelei wie in eurem Beitrag“ ausdrücklich verwahrt. Folgender Zettel hierzu lag eben auf unserem KunstArztPraxis-Küchentisch:
„Kollegen! Ich war schon SEHR verwundert über Euren Text. So böse seid Ihr doch sonst nicht! Und warum habt ihr das mit mir nicht abgesprochen? Außerdem: Ich mag die Nostalgie-Kunst von Laurenz Berges. Das ist KEIN Lost-Places-Fotograf, der es wegen des Becher-Schüler-Stempels auf den Kunstmarkt geschafft hat! Es steckt ja neben Atmosphäre noch so viel mehr (Foto-)Geschichte drin in diesen Bildern. Und das mit der Oktave tiefer ist eine ausgemachte Unverschämtheit!
Deshalb bin ich ausnahmsweise einmal froh, dass Euch die Unsichtbarkeits-Maschine im September zwingen wird, den unflätigen Beitrag wieder off the grid zu nehmen. Ansonsten habe ich Euch zwei Leberkäs-Semmeln mitgebracht. Schnell essen, sind noch warm. Euer S.“
Anmerkung 2: Zur Beschwichtigung: Wir haben vor Kurzem ja geschrieben, dass uns die Fotos von Elger Esser, der seine Seele dummerweise ebenfalls der Unsichtbarkeits-Maschine verschrieben hat, später vor Ort fulminant erschienen. Insofern wollen wir auch noch Laurenz Berges eine Chance geben. Es KÖNNTEN ja alles auch nur Vorurteile von Zweien aus der KunstArztPraxis sein! Dann würden diese Zwei von uns sich wieder so entschuldigen, wie wir alle Drei es bei Elger Esser schon getan haben.
Anmerkung 3: Zu den „zwei Schuhen derselben Medaille“: Unsere Lieblingsphantasie ist ein Text, der ausschließlich aus schiefen Bildern besteht. Oder, um es mit dem unvergleichlichen Heinz Erhardt zu sagen: „Das schlägt ja wohl dem Fass den Boden ins Gesicht!“ (Wobei das Zitat natürlich das Kind mit dem Bade vor dem Abend so lange lobt, bis es in den Krug bricht! Klar (kicher kicher). Ihre KunstArztPraxis.
Erwin Hapke in der KunstArztPraxis:
Exklusiv, als Vorabdruck: „Honig“ aus „Hapke„
360°-Rekonstruktion: Ein neues Haus für Erwin Hapke
Erwin Hapke: Das Ende eines Gesamtkunstwerks
Erwin Hapke: Welten falten
Erwin Hapke, Welten-Falter – ungefaltet!
Endlich im Licht! Hapke & Henschel in Kevelaer
Betriebsausflüge (2): “Geordnete Verhältnisse”
Das MGK in der KunstArztPraxis:
„Meine Juden“: Miriam Cahn im MGK Siegen
Mehr als heiße Luft: „Die Wolken und die Wolke“ in Siegen
Die Wachstumskurven der Katja Novitskova
Katja Novitskova: Die glücksberaubten Pinguine
Mariana Castillo Deball: Im Museum der Zukunft
Herrlich! Es lebe der Kunstarzt1! Wage, Dich Deiner Kamera ohne die Anleitung eines anderen zu bedienen! Kunst ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Narrativhörigkeit.
Antwort KunstArzt1: 1000 Dank, Herr Matthias B.! Mit der Lobhudelei der anderen beiden KunstÄrzte bin in trotzdem NICHT einverstanden,