Mary Bauermeister gilt als „Mutter der Fluxus-Bewegung“. Vor allem aber ist sie eine große Künstlerin. Das beweist ihr Atelierhaus mit riesigem Garten in Rösrath. Wir haben sie dort besucht.
Ein wenig sei ihre Arbeit wie das Werk von Insekten, sagt Mary Bauermeister: “Zwar mache ich keine Ameisenhügel oder Bienenwaben, sondern Kunst. Aber das hat auch viel mit Nestbau zu tun.” In diesem Sinn hat sich die 85-Jährige nach Stationen in Köln und New York in Rösrath-Forsbach ein Nest gebaut. Und mit Bildern und Objekten ausstaffiert.
Ende der 1960er Jahre ließ Bauermeister das lichte Gebäude bauen, vier Kinder zog sie hier alleine groß. Zwei sind von ihrer großen Liebe Karlheinz Stockhausen, mit dem sie 14 Jahre lang zusammengelebt hat: zunächst in einer von Doris Stockhausen komplettierten Ménage à Trois, von 1967 bis zur Scheidung 1973 als Ehefrau.
“Kunst darf wieder schön sein”
Architekt Erich Schneider-Wessling hatte das Atelierhaus ursprünglich vollkommen offen konzipiert. “Meine Kinder wollten dann für ihre Zimmer Türen.” Als die Kinder ausgezogen waren, habe sie “die Räume selbst gefüllt”. Mit eigener Kunst wie ihren Phosphor- und Strohhalmbildern – und mit sammelndem Bienenfleiß, quer durch die Kulturen.
Herausgekommen ist eine individuelle Wunderkammer, die assoziativ-strukturierenden Mustern folgt und fast wie ein persönliches Museum wirkt. Tatsächlich hat sich Bauermeister mit Dingen umgeben, die ihr wichtig sind. Und gefallen, sinnlich und geistig aufbauend wirken. Denn: “Kunst darf wieder schön sein.”
Das Schöne findet Bauermeister aber nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Natur. “Das sind für mich aber ohnehin dieselben Dinge”, wie sie sagt. “Das sind meine beiden Kraftquellen. Horte der Glückseligkeit. Wenn ich krank bin, muss ich arbeiten, in der Kunst, in der Natur. Dann werde ich gesund.”
Muse und Muserich
Kunst als verlängerter Arm der Natur: Nirgends wird dies eindrücklicher als in Bauermeisters dreidimensionalen Steinbildern. Ihr vielleicht schönstes hängt im “Wohnzimmer”. An Museen ausgeliehen wird es nicht mehr. “Viel zu schwer. Und dann geht ständig beim Transport etwas kaputt. Dann muss man rätseln, wo die abgefallenen Steine hingehören.”
“Meine Werke sind Tagebücher meines Weltverstehens, meines Welterlebens”, sagt Bauermeister. Insofern ist das glasgeprägte Haus der ungemein sprachgewandten und wachen Künstlerin eine Art Bücherschrank ihrer immer weiter fortzuschreibenden Biografie. Und tatsächlich birgt es Erinnerungen an fast alle Phasen ihres Lebens.
Etwa an Köln, wo ihr Atelier Anfang der 1960er mit “Prä-Fluxus-Veranstaltungen” Treffpunkt von Joseph Beuys, John Cage, Otto Piene oder Nam June Paik war. Oder Stockhausen – mit Kompositionen, an denen zum bisweilen auch Bauermeister mitwirkte. “Ich war seine Muse”, schreibt sie in ihrer Autobiografie, “und er mein Muserich”.
An der Kultusministerin vorbeigeschrammt
“Paik mochte ich besonders gern”, sagt Bauermeister. “Der hatte so etwas Asiatisch-Friedliches. Und einen Humor, den ich grandios finde.” Ein wundervolles Spruchbeispiel steht gleich mehrfach auf Emailschildern im Garten und im Haus: “When too perfect lieber Gott böse”. Paiks Kölner Studienbuch gehört zu Bauermeisters Archiv.
“Die Kölner Zeit mit den Multimedia-Aufführungen in meinem Atelier war für die Kunstgeschichte spannend”, sagt Bauermeister. “Wenn ich da geblieben wäre, wäre ich Kunstorganisator geworden und heute vielleicht Kultusminister a.D.” Die Kölner Zeit ist in einem Buch (vorne) gut abgedeckt, Bauermeisters Werkverzeichnis wird gerade erarbeitet.
Wichtig ist Bauermeister vor allem New York, wohin sie 1962 ging, um “mit meiner eigenen Arbeit weiterzukommen”. Das seien die spannendsten Jahre gewesen, sagt Bauermeister, mit Freundschaften zu Jasper Johns oder Niki de Saint Phalle: “Eine inspirierende Atmosphäre, es gab noch kein Geld, unsere bewusstseinserweiternde Droge war der Hunger.” Es war trotzdem “eine wunderschöne Zeit”.
Alles relativieren können
Tagebücher sind vor allem Bauermeisters Linsenkästen, die typisch sind für ihr Werk, mit denen das Geld kam und sie international berühmt geworden ist. “Da schaue ich hinein und sehe und lese ein wenig darin herum. Und dann sage ich: Hach, das war die Phase, das war der Punkt, wo man damals gesteckt hat im Leben.”
Dann schaut das Leben aus den Linsenkästen zurück: “Das Leben ist ja viel vieldeutiger als wir denken. Das habe ich ein bisschen versucht in diesen Kästen.” Auf die Idee sei sie gekommen, als sie bei einem Antiquitätenhändler in Amsterdam die Uhrengläser eines Uhrmachers erstand. “Die Entdeckerfreude, die ich beim Spiel mit diesen Gläsern empfand, will ich an die Betrachter meiner Kästen weitergeben.”
“Für mich ist schön, wenn ich Dinge, auch meine eigene Kunst, relativieren kann”, sagt Bauermeister. “Wenn ich Linse über Linse schichte und die eine vergrößert etwas, und die andere stellt es auf den Kopf. Alles, was festgelegt ist, ist für mich Staub und Tod. Dinge sind aber in Bewegung.” So wie bei dieser Linsen-Steine-Formation in einem Holzhaus in Bauermeisters Garten.
No-Go roter Punkt und pinker Sarte
Überhaupt: Der Garten. Immer mehr Land hat Bauermeister über die Jahre hinzugekauft, kleine Häuschen und Zirkuswagen hineingestellt. Hier wohnten früher andere Künstler. Inzwischen eher Bücher, verborgen hinter weißem Tuch, wie im Haus. Aus ästhetischen Gründen: “Wenn ich ein Bild habe, wo ein kleiner roter Punkt ist, und daneben ist eine Gesamtausgabe von Sartre in pink – das geht nicht!”
“Ich bin ein absoluter Buchmensch”, sagt Bauermeister. “Ich schaue nicht Fernsehen, ich gehe selten ins Kino. Ich lese.” Irgendwann, als das Haus aus allen Nähten zu platzen drohte, habe sie die Literatur ausgelagert: “Erst die Philosophie, dann den Garten, die Ökonomie, die Ökologie.” Jeder Zirkuswagen und jede Hütte hat ein Thema, bei dem Bücher auf fremde und eigene Werke treffen.
Als die Kinder noch im Haus lebten, gehörten auch noch Tiere zum Anwesen. Kaninchen zum Beispiel. Bienen. Und Ziegen. Von letzteren zeugt nur noch ein leerer Stall. Und die Hörner auf Bauermeisters Kultstätte. “Antennen”, wie die Künstlerin sagt. Wohl zu einem anderen Dasein.
Himmelsleiter mit Schutzmantel
Die geheimnisvollste Architektur im Garten ist aber zweifellos der Wohnturm, den Bauermeister um eine Treppe aus dem abgerissenen Haus ihrer verstorbenen Schwester herumgebaut hat. “Eigentlich wollte ich eine Himmelsleiter bauen”, sagt die Künstlerin. Aber dann habe das Gestell mit seinen Stützbalken so unfragil ausgesehen, “dass ich es lieber eingekleidet habe“.
Drinnen ist der Turm mit Kleidern und Steinen Bauermeisters vollgehangen. Und mit Kästen präparierter Insekten, die die Künstlerin wegen ihrer Schönheit auf Mineralienmessen rerstand, wegen des Morbiden aber nicht im Haus haben will. Am oberen Ende der Treppe wartet eine Hängematte mit Ausblick über das ganze Terrain.
“Ich gehe sehr sparsam mit Farbe um in meiner Kunst”, sagt Bauermeister. Abends wird es dann doch bunt auf ihren Werken. Dann bricht die Sonne durch ihre Prismen und wirft Strahlen von Rot und Blau und Gelb auf Wabenstrukturen oder Steinkreise. Eigentlich ist das im Haus die schönste Zeit.
Die Zeit der Kürbissuppe ist vorbei
“Früher haben mich ästhetische Fragen interessiert”, sagt Bauermeister. “Politik hat mich eher abgeschreckt. Heute geht das nicht mehr. Heute muss man einschreiten.” Zeitweise war sie so empört, dass sie alle Arbeiten aus Trumps Amerika “zurück in den deutschen Wald” holen wollte. Inzwischen hat sie wieder eine New Yorker Galerie. Die Arbeit “Fuck the System”, die in den 1960er Jahren ebendort entstand, wirkt jetzt wie eine Brücke.
Politischen und ästhetischen Fragen widmet sich auch Bauermeisters letzte große Arbeit. “Ich will die deutsche Flagge wieder auf den Kopf stellen. Das erdige Schwarz gehört nach unten, das transzendente Gold nach oben.” Hierzu hat sie Unterschriften gesammelt und Gemeinden umgestaltete Fahnen geschenkt, die in ihrem zweiten Atelier in Reichshof-Oberagger entstanden sind. Bis vor etwa einem Jahr konnte man Bauermeisters Atelier und Garten an jedem ersten Sonntag im Monat betreten. Nicht selten kredenzte die Künstlerin dabei ihre berühmte Kürbissuppe mit Ingwer. Gemacht aus Kürbissen aus dem eigenen Garten. Die Zeit ist leider vorbei. Aber die Kürbisse gibt es immer noch. (15.03.2017 / 12.06.2020)
Mary Bauermeister muss eine faszinierende Persönlichkeit und Lebens- und Schaffenskünstlerin gewesen sein. Es ist immer für die Zurückgebliebenen traurig, wenn ein Mensch die “weltliche Ebene verlassen” hat. Dies habe ich leider auch schon erlebt.
In Mary Bauermeisters Fall gibt es aber zum Glück noch viele andere Ebenen, die der Welt erhalten bleiben.
Daher würde ich in Reichshof-Oberagger, auch ohne Kürbissuppe, sehr, sehr gerne ihr Atelier besuchen, sollte dies noch möglich sein.
Ich wohne im Oberbergischen, bin mit meiner Familie zugezogen und wusste nicht, obwohl ich Künstler in Familie und Freundeskreis habe, dass in unserer Nähe Mary Bauermeister gelebt und gewirkt hat. Die Resilienz, die sie verkörperte, ist doch toll, finde ich. Das gefällt mir.
Und ihr Schaffens- und Lebenswerk bleibt erhalten!
Es grüßt die Leser dieser Email
Birgit