Kunsthalle Düsseldorf: Peter Piller schafft Ordnung
Wenn wir an Humor und hintergründigen Witz in der Gegenwartskunst denken, dann kommt uns schon als Zweites Peter Piller in den Sinn. Auf seine erste Überblicksschau im Rheinland haben wir uns deshalb ganz besonders gefreut. Und wir wurden nicht enttäuscht! Warum steht hier:
Peter Piller malt nicht. Bisweilen kritzelt oder knipst er zwar, aber am liebsten schafft er in den Archiven Anderer Ordnung. Das klingt nach wenig, ist aber eine ganze Menge.
Denn Peter Piller schafft Zusammenhänge, die im Idealfall entlarvend sind. Die unser Sehen am Peripheren messerscharf schulen. Und das Komische quasi in Serie offenlegen – und zwar da, wo sie sonst in der Überfülle der Bilder verloren ginge.
Das gefällt uns Sichtbarkeitsfanatikern von der KunstArztPraxis natürlich besonders.
Im Grunde ist Piller ein Archäologe der Absurditäten unseres Lebens, ein Meister der banalen Offenbarung. Geschult durch seinen Brotjob bei einem Hamburger Ausschnittdienst hat er einen seismografischen Blick entwickelt für sinnlose Ordnungen, das Beiläufige, Zufällige, Lächerliche, Ab- und Untergründige, das im Grunde viel aussagt über unser Wohnen, Wirken, Denken, Schauen.
Kombiniere: Struktur kann komisch sein!
Aus seinem Archiv mit Tausenden Zeitschriftenfotos, Ansichtskarten, Luftbildaufnahmen und Internetfundstücken blitzt in der Pillerschen Zusammenschau Erkenntnis auf wie Irrlichter auf Leuchtstreifen auf Feuerwehruniformen in Blitzlichtgewittern.
Wer Pillers Arbeit „Regionales Leuchten“ (2000-2006) kennt, der weiß, was wir meinen.
2002 kam ein Luftbild-Konvolut mit 20.000 Aufnahmen deutscher Eigenheime in Pillers Besitz, aus denen er unter dem Titel „Von Erde schöner“ (2002-2004) bisher 23 Kategorien herauskristallisierte.
Aus der Vogelperspektive
In einer hängen den Häusern rote Bettwäschen wie Zungen aus den Fenstern, in einer anderen zeichnen in rätselhaften Symmetrien oder zauberhaften Bögen gesetzte Steinpfade hinter Eigenheimen aus der Vogelperspektive unentschlüsselbare, da eben nicht vorhandene Botschaften in den akkurat gemähten Rasen wie sonst nur die peruanischen Scharrbilder in der Wüste bei Nazca Nachrichten für anreisende Aliens.
Und unserer Lieblingsserie „Von Erde schöner. Autowäsche“ zeigt inkontinente Autos vor Eigenheimen nach der heute völlig zu Recht vergessenen und in unserer Kindheit als Samstagsritual von Vätern hartnäckig praktizierten Karosseriereinigung: komplett sinnfreie, vom Zufall geformte Rorschachtests für die umweltschädlichen Unbewusstheiten unser aller Spießigkeit. Oder eben für den Gully.
Ein wenig schade ist es schon, dass wir „Von Erde schöner“ in der Kunsthalle Düsseldorf in keiner Form wiedersehen durften. „Die ist so oft gezeigt worden“, sagte Peter Piller auf Nachfrage, „deshalb zeigen wir sie hier nicht“. Dabei nutzt sich der Witz dieser Serien auch nach tausendmal Betrachten nicht ab.
Aber es gibt natürlich trotzdem viel zu sehen und zu schmunzeln und zu staunen in „there are a couple of things that bother me“ – und manches Neue zu entdecken gibt es auch. Immerhin werden in der Retrospektive etwa 400 Arbeiten sowie rund 15 Serien und Werkgruppen der letzten 25 Jahre gezeigt. Ein Vierteljahrhundert Kategorisieren, Strukturieren und Durchsieben.
Soldaten zu Flugsamen!
In Düsseldorf blasen hübsche blonde Mädchen in Uniform Pusteblumen in den Himmel, deren Flugsamen allerdings fallschirmspringende Soldaten sind (ein Fundstück aus der DDR-Zeitschrift „Armeerundschau“). Und Ausflügler posieren neben Blindgängern aus dem Ersten Weltkrieg, die nach ihrem erfolglosen Absturz wie phallische Gurken aus dem Boden wachsen.
Es sind dies vergrößerte Reproduktionen von Propaganda-Postkarten, die es damals ernsthaft so gegeben hat. Entwaffnend komisch sind sie erst durch Pillers Filter.
Motiv: Versicherungsbetrug?
Am schönsten sind diese Serien in unseren Augen immer da, wo sich Pillers Komik mit seinem Sinn fürs Rätselhafte paart. So ist es bei „Nimmt Schaden“ (2007), für die Piller rund eine halbe Million digitaler Tatort-Fotografien von Schadensermittlungen einer Schweizer Versicherungsgruppe durchforstet hat.
Vom avisierten Schaden ist auf den 30 in Düsseldorf gehängten Fotos allerdings oft nichts zu sehen. Zurückgeblieben ist das Geheimnis: ein „konzeptionelles Rätsel“, wie das Kuratoren-Duo sagt. Und eins, das den Weg zu neunen Geschichten öffnet.
Kunst = Ordnung = teurer als Besitz
Hübsch finden wir auch, dass die Versicherung nach der Auswahl Pillers die eigenen Fotos als Kunst wieder zurückgekauft hat. Ordnung ist eben nicht nur das halbe Leben, sondern irgendwie auch unbezahlbar. Oder doch zumindest teurer als der eigene Besitz.
Im Labyrinth der Einzelbilder
Und dann gibt es in Düsseldorf auch die „Ungeklärten Fälle“: Fotos, die sich jedem Klassifizierungszugriff Pillers standhaft entwunden haben. Im sogenannten Kinosaal der Kunsthalle hat man ihnen ein Labyrinth gebaut, dessen Gänge so schmal sind, dass der Blick das Einzelbild fixieren muss statt der (hier nicht vorhandenen) Bezüge.
Und da zeigt sich dann, dass Peter Piller durchaus auch ein Gespür hat für die Komik der einsamen Bildmomente unserer Wirklichkeit.
Weltkriegsbomber im Hinterhof
Zum Beispiel bei einem eigentlich sehr gruseligen Mobile aus deutschen Weltkriegsbombern in irgendeinem stinknormalen Hinterhof, dessen Stahlgestänge in dieser Konstellation ein wenig nach Hakenkreuzen müffelt. Oder bei zwei Feuerwehrleuten auf Holzleitern, die offenbar versuchen, den Gekreuzigten in der schwindelerregender Höhe eines Kirchturms (?) – also noch etwas näher zum Vater als nur am Kreuz – in Position zu bringen.
Passionsgeschichte als Himmelfahrtskommando.
Aber das sind nur die gröbsten, da leicht beschreibbaren Beispiele. Den subtileren Witz anderer Bilder muss man einfach selbst gesehen haben.
Ach ja, wie gesagt: Gelegentlich zeichnet und fotografiert Peter Piller auch selbst! Wir haben am Anfang etwas despektierlich „Kritzeln“ und „Knipsen“ gesagt, aber der zur Schau gestellte Dilettantismus ist natürlich gewollt!
Skizzen zu einer seiner „Peripheriewanderungen“ sind in Düsseldorf ebenso zu sehen wie Blätter aus der Reihe „Hochschulzeichnungen“: Träumereien und grafische Gedanken über Pillers Professuren – auch an der Kunstakademie Düsseldorf, wo er 2018 die Klasse von Andreas Gursky übernahm.
Vögel in Schieflage
Zum Selbstgeknipsten gehört die hübsche Serie „Behind Time“ (2017), für die Piller wie bei einer echten Forschungsexpedition die große weite Welt bereiste. Auf diesen Fotos sind teils seltene Vögel zu sehen, die Ornitholog*innenherzen sicher höher schlagen lassen würden – allerdings nicht in bestimmungsfähigem Zustand, sondern just in jenem Moment, in dem sie das Bildfeld fluchtartig, vermutlich aufgeschreckt vom naturablaufstörenden Fotografen, verlassen.
Benannt sind die Bilder nach jenen Vögeln, die darauf eigentlich nicht zu sehen sind: Schon dafür, dass uns Piller die hübschen Bezeichnungen „Raubwürger“ und „Kleiber“ wieder ins Gedächtnis gerufen hat, sind wir ihm dankbar.
Offenes Lachen, öffnendes Gähnen
Eins dieser Fotos allerdings heißt „Ein amerikanischer Vogel, den ich nicht bestimmen kann“, „Ein anderer amerikanischer Vogel, den ich nicht bestimmen kann“ ein anderes. Auch die Verbindung von Zeichen und Bezeichnetem ist halt brüchig. Beliebig. Zweifelhaft. Und irgendwie auch zum Scheitern komisch. Man sollte sich nie sicher sein.
Das ist es ja: Es geht auch bei Pillers Ethnografien des eigenen Stammes nicht um exakte Wissenschaft. Es geht um eine andere Form von Erkenntnis, die – um es mit den stark abgewandelten Worten einer anderen Werkgruppe Pillers zu sagen – vielleicht nur mit einem offenen Lachen oder in einem öffnenden Gähnen gewonnen werden kann. (27.03.2023)
„Peter Piller. there are a couple of things that bother me“ ist noch bis zum 21. Mai 2023 in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen. Zur Ausstellung ist eine Publikation mit Höhlenzeichnungen erschienen. Wie immer ein Künstlerbuch: schnöde Kataloge sind mit Piller nämlich nicht zu machen.
Anmerkung: Apropos „Höhlenzeichnumngen“: Es gibt in Düsseldorf noch eine Serie von Fotos zu Pillers aktueller Beschäftigung mit prähistorischer Höhlenmalerei in Südfrankreich und Nordspanien, die den gesamten Seitenlichtsaal der Kunsthalle bestückt und die wir offen gestanden noch nicht so ganz verstanden haben. Peter Piller hat zwar gesagt, das sei egal, man müsse ja nicht alles verstehen. Aber wir kommen lieber doch noch einmal wieder. Wir glauben nämlich, dass sich das lohnt.
Kunsthalle Düsseldorf in der KunstArztPraxis:
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Homepage der Kunsthalle Düsseldorf
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