Wie sagen wir’s den Bienen? „HONIG“ in der Villa Zanders
Aus dieser das Auge und das Hirn gleichermaßen erfreuenden Schau in Bergisch Gladbach konnten wir viel Honig saugen. Und haben sogar die Bienen ein bisschen besser verstanden. Aber können wir auch den Bienen die Kunst von Joseph Beuys schmackhaft machen? Oder, noch schwerer: die Menschheit?
Die Älteren werden sich vielleicht erinnern: Vor Jahren haben wir zur Eröffnung unserer KunstArztPraxis mal dem toten Hasen Joseph Beuys erklärt.
Jetzt sind wir mit dem Sammler Hartmut Kraft durch die von ihm kuratierte „HONIG“-Ausstellung in Bergisch Gladbach gegangen, die Joseph Beuys ins Zentrum setzt. Und dabei ist uns aufgegangen, dass es ebenso sinnvoll gewesen wäre, den BIENEN Joseph Beuys zu erklären.
Vielleicht sogar die Menschheit. Wobei das, wie wir finden, ungleich schwieriger ist. Denn: Die Menschheit ist ein weites Feld.
Wie zum Beispiel könnten wir den Bienen erklären, dass die alten Griechen dachten, sie würden ihren Honig gar nicht produzieren, sondern ihn als Nektar der Götter aus dem Himmel einfach zuammensaugen?
Dass selbst die Aufgeklärtesten bis ins 17. Jahrhundert hinein glaubten, die Bienen seien aus den Kadavern von Stieren entstanden?
Und dass die Bienenkönigin ob ihrer Macht & Stärke natürlich männlich sein müsse – bis ein gewisser Herr Swammerdam unterm Mikroskop ihre Eierstöcke nachwies?
(Bild: Felix Droese, „Aristäus erschafft die Bienen aus dem toten Rind“, 2018, Kunstmuseum Villa Zanders, Bergisch Gladbach 2024)
Wie soll man den Bienen begreiflich machen, dass es einmal einen Diktator gab, der dem Wahn anhing, im Bienenstaat würde sich die Masse für den (ähem: weiblichen) Führer opfern – zum Beispiel im totalen Krieg gegen die Hornissen, von dem besagter Diktator im letzten Kapitel von Waldemar Bonsels Soldaten-Durchhalte-Bestseller „Die Biene Maja“ (1912) an der Front gelesen hatte?
Wir sind nicht Kassandra!
Oder dass Generationen von TV-Konsument*innen mit der irrigen Annahme erwachsen wurden, dass kleine, freche, schlaue Bienenmädchen den lieben langen Tag mit faulen, nuschelnden, begriffsstutzigen Drohnenjungs um die Blüten ziehen, um dank militanter Ameisen-Brigaden, depressiver Regenwürmer oder gruseliger Spinnen-Omas Abenteuer zu bestehen?
Also, erklären könnten WIR das den Bienen nicht! Wir sind ja nicht so pädagogisch wertvoll wie das Fräulein Kassandra – das es, anders als uns, in der echten Welt da draußen allerdings nicht gibt.
Vieles von dem, was wir den Bienen nicht erklären können, kommt in der wundervollen Kabinettausstellung im Kunstmuseum Villa Zanders zur Sprache: über Skulpturen, Grafiken, Fotografien, Zeichnungen und andere Exponate.
Und wird im reich bebilderten Begleitbuch vertieft, das das Thema auch aus biologischer, medizinischer, kulturhistorischer und literarischer Perspektive beleuchtet.
(Titelbild des Begleitbuchs: Bjørn Nørgaard, „The Last Bee“, 2018. Ebenfalls in „HONIG“ zu sehen.)
Inklusive von Exkursen darüber, warum sich im Bienenstaat eben nicht alle der Königin unterordnen, wie Honig TATSÄCHLICH entsteht & wie sich die Bienen WIRKLICH gegen die Hornissen wehren.*
*Nur soviel dazu: Im Grunde ist es noch martialischer als bei Waldemar Bonsels.
Von der „Drohnenschlacht“ des Stocks wollen wir erst gar nicht reden.
DIE hätte ein würdiges Schlusskapitel abgegeben, Herr Bonsels!
Oder, Willi?
Ansonsten gibt es in „HONIG“ Kunst von Hede Bühl, Timm Ulrichs, Ulrike Rosenbach, Jürgen Klauke, Herbert Zangs, Johannes Brus oder Rolf Iseli zu sehen, die sich den Bienen & ihren Waben, dem Wachs & dem Honig auf jeweils originelle Weise nähern.
Was Bienen brennend interessieren sollte
Und eben Objekte, Grafiken und durch Fotos dokumentierte Aktionen von Joseph Beuys, der sich bekanntlich mehr durch Kraftvergeudung als durch Honig ernährte.
Obwohl er am defekten Strahl seiner kurzzeitig auslaufenden „Honigpumpe am Arbeitsplatz“ zur Freude seiner Helfer ja doch einmal genascht hat, um die angespannte Stimmung beim schwierigen Aufbau im Fridericianum in Kassel etwas aufzulockern.
Der „Arbeitsplatz“, das war damals, 1977, die documenta 6. Während der gesamten 100 Tage war Beuys, Kraft vergeudend, mit seiner „Free International University“ bienenfleißig zugegen, um mit dem Publikum über „Atomenergie und alternative Energieformen“, den „Verfall der Städte“, „Arbeit und Arbeitslosigkeit“ oder „Gemeinschaftsbildung“ zu diskutieren.
Immer noch höchst aktuelle Themen, die auch die Bienen unter uns brennend interessieren sollten.*
*Arbeitslosigkeit natürlich nur die Drohnen.
„Das wird jetzt parallel gesetzt“
Derweil pulsierte in den transparenten Röhren der Honigpumpe die gelbe, mit destilliertem Wasser verdünnte zähe Masse (Marke: Langnese) durchs Gebäude wie Blut durch den Körper: eine Honigpumpe, an deren Realisierung Joseph Beuys entgegen der Prophezeiungen von Weggefährten und gestandenen Ingenieuren über viele Jahre visionär festgehalten hatte.
Wirtschaftswert am Ende: 66.113 Mark. Und 13 Pfennige. Von Beuys in tutto aus eigener Tasche gelöht.
Und warum? Na – und jetzt kommt’s, liebe Bienen!: um mit dem Honigfluss dieser Maschine ein künstlerisch-sinnliches Bild zu schaffen für das nährende menschliche Denken, das im Idealfall – Schlagwort: erweiterter Kunstbegriff! – die soziale Plastik, und damit die ökologisch, sozial und ökonomisch bessere Zukunft der gesamten Gesellschaft, formen kann.
Wir hoffen, uns verständlich ausgedrückt zu haben. Zur Sicherheit sagen wir es aber noch einmal mit den Worten von Joseph Beuys:
In diesem Sinne ist es so, wie bei Beuys‘ Honigpumpe, ja oft in der Kunst: Was als Bild für sich extrem stark ist, intuitiv erfasst werden kann & teils auch nach Jahrzehnten noch im Kopf nachwirkt, wird ein bisserl platt, wenn man es erklärt: Deshalb ist ja in der Kunst das Bild und nicht das Wort.
Bei toten Hasen mag man das ja irgendwie noch verdrängen können. Aber bei den paar noch lebenden Bienen geht das so einfach nicht.
Also, liebe Bienen: Verlasst die Beuten und schaut euch mit euren Fühlern an den Köpfen „HONIG“ in Bergisch Gladbach an! Denn so ist das ja bei Euch, im Gegensatz zur Menschheit: Wer DENKEN will, fliegt raus. (17.08.2024)
Anmerkung: Wir haben weiter oben von EINEM Arm der Unsichtbarkeit-Maschine des Joseph Beuys berichtet, der Beuys 1965 mit Gold & Honig bestrich. Das erklären wir hier aber ausnahmsweise mal nicht weiter. In diesem Fall gilt das geschriebene Bild.
„HONIG für Kunst und Gesellschaft“ ist noch bis zum 27. Oktober im Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach zu sehen. Das von uns ebenfalls gepriesene Begleitbuch von Hartmut Kraft ist im Verlag Kettler erschienen (Kostenpunkt: 29 Euro). Gibt es auch an der Museums-Kasse.
Joseph Beuys in der KunstArztPraxis*:
Jeder Mensch ein Quizzer? Der Beuys-Jahr-Bio-Test
Wie man dem toten Hasen Joseph Beuys erklärt
Staeck & Beuys: “Ziel war maximale Öffentlichkeit”
Beuys, der Schüler: “Alles ist Skulptur” in Duisburg
100 Fragen an Joseph Beuys
Joseph Beuys und die Unsichtbarkeits-Maschine
Joseph Beuys und die Sichtbarkeits-Maschinen
Joseph Beuys: Krise & Heilung
Franz Joseph van der Grinten: Joseph Beuys reloaded (1-6)
*Es gab noch weitere Beuys-Beiträge aus der KunstArztPraxis.
Aber die wurden alle Opfer der vielarmigen Unsichtbarkeit-Maschine.
Die Villa Zanders in der KunstArztPraxis:
In Brüchen denken: “Martin Noël – Otto Freundlich”
33 Malantworten: Rolf Rose in der Villa Zanders
Mechtild Frisch: Aufschein im Verschwinden (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Katharina Hinsberg: Making-of “Linie im Raum” (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Reine Bildgebung (8): “Still Lines” in der Villa Zanders (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Schönheits-OPs (3): Kunstmuseum Villa Zanders
Intuition statt Kochbuch. Ein Editionsgedicht
“Bibliomania” in Bergisch Gladbach: Buch als Körper (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Hede Bühl: Mit Strichen modellieren (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Vielen Dank für den humorvollen, Bienen-leicht umherschwirrenden Text über meine Sammlung und Ausstellung!
Ich sitze derweil an der nächsten Kabinett-Ausstellung, die direkt an die Bienen anschließen wird: „MIchael Buthe 80 / 30 – Bilder aus und mit Papier aus der Sammlung Kraft“. Ich sammle Buthe-Arbeiten seit 40 Jahren und bin erstaunt, was da zusammengekommen ist, ohne je an eine Ausstellung gedacht zu haben – nun aber zum 80. Geburtstag und zugleich 30. Todestag.