Gute Kunst? Cornelius Völker im Kunstpalast Düsseldorf
Mit Cornelius Völker verbindet uns eine lange Geschichte des Scheiterns. Sie verrät viel über die Mechanismen, anhand derer Kunst institutionell beurteilt wird. Zwei Düsseldorfer Ausstellungen führen das nochmal vor Augen. Cornelius Völker bespielt eine davon, die andere die “Stars”.
Vor vielen Jahren durften wir mehrere Online-Ressorts eines großen deutschen Kultur-Vermittlungs-Instituts mit sogenanntem Content bestücken, darunter auch das wundervolle Ressort der Kunst.
Hierzu fuhren wir im Drei-Monats-Takt zu einer Redaktionskonferenz in eine südliche Landeshauptstadt, um den Kunstredakteur*innen unsere Vorschläge zu unterbreiten. Zur Jahrtausendwende hatten wir auch Cornelius Völker im Gepäck.
Schon damals mochten wir Völkers unverwechselbaren, wir wollen sogar sagen: ehrlichen Strich. Wir schätzen weniger, dass er sich mit Alltagsdingen wie Schokoladentafeln, zerfließenden Himbeeren, sich grotesk entkleidenden Männern oder Meerschweinchen abgab – dieser Hang zum Banalen gehört ja im Jahr 110 n.D.* längst zum guten Ton.
*nach Duchamp
Aber die Art, wie Völker das machte: die Manier, in der er erhabene Schokoladentafeln in plakative Flachware verwandelte, Himbeeren in ein Nichts aus Farbe zerfließen ließ, Männerarme aus expressiven Strichpullovern schälte oder Meerschweinchen mit dem Pinselkamm zu stoisch-pastosen Rockstars sturmfrisierte, schätzten wir schon damals sehr.
Diese Nonchalance, diese als aufdringliche Gefälligkeit getarnte Ironie; diese malerische Inszenierung, die im Grunde ja eine Inszenierung des Malerischen ist: Für uns war das ganz große Kunst.
“Aber A.R. Penck!” – “Aber Dieter Krieg!”
Wir dachten in unserem Enthusiasmus also, wir hätten in der südlichen Landeshauptstadt leichtes Spiel. Wir hatten uns getäuscht. Während der Konferenz mussten wir richtig herumwerben, denn von den anwesenden Kunstredakteur*innen kannte Cornelius Völker niemand. Also, dachte man dort offenbar, musste er auch Niemand sein.
Fast wäre das Nie-gehört-Kriterium also schon Cornelius Völkers Ende gewesen, da schafften wir es durch den verlockenden Verweis auf Völkers Lehrer (“Aber A.R. Penck!” – “Aber Dieter Krieg!”) zumindest noch, das Interesse auf visuelle Referenzen zu lenken.
Und dann fiel ein Wort, das Cornelius Völker endgültig den Garaus machte. Es versetzte uns in erschrockenes Erstaunen, denn es katapultierte den Künstler mit einem Schlag brutalstmöglich aus der hehren Sphäre der Kunst in die Untiefen des profanen Markts.
Als dieses Wort einmal ausgesprochen war, traute sich Niemand mehr, sich für Cornelius Völker ins Zeug zu legen. Wir drei kleinen Dienstleister aus dem Norden natürlich am allerwenigsten.
Was unser Urteilsvermögen infrage stellte
Dieses uns bis dahin völlig unbekannte Wort wirkte als Totschlagargument so stark, dass wir uns sogar den Satz gemerkt haben, der es intronierte: wohl auch, weil es – nicht als Geschmacks-, sondern als Werturteil formuliert – letztendlich unser eigenes Urteilsvermögen vernichtend infrage stellte.
Hier nun kommt dieses Wort in seiner natürlichen Umgebung, also im ganzen Satz: “Das ist ja jetzt wohl eher GALERISTEN-WARE”.
Das Wort von der “Galeristen-Ware” lehrte uns im Nachhinein sehr viel. Es lehrte uns, dass es im Feld der Kunst offenbar verschiedenste Hierarchien und Mechanismen gibt, die anhand von – in unseren Augen – oftmals peripheren Kriterien entscheiden oder entscheiden helfen, was gute Kunst zu sein hat und was eben nicht – und was davon sichtbar wird oder im Atelier verschimmeln soll.
Im Fall von Cornelius Völker entzog uns die Kulturvermittlungs-Instanz qua dieses einen Worts irgendwie blindwütig die Kulturvermittlungs-Lizenz, weil jemand Höheres (die Redaktion) das eindeutig einer höheren Institution (dem Museum) zugeordnete Hehre im Niederen (der Galerie) nicht sah.
Oder, um es auf eine Formel zu bringen: Galerie = Deko-Kunst = schnöder Mammon. Museum = Kult-Kunst = interesseloses Wohlgefallen.
Auch später, als Dienstleister einer großen Rundfunkanstalt in NRW, versuchten wir vergeblich, Cornelius Völker zu platzieren – und das, obwohl der Düsseldorfer inzwischen mit der Von der Heydt Kunsthalle in Wuppertal (2012), der Kunsthalle Münster (2016) und der Neuen Galerie Gladbeck (2021) die hierarchische Institutionen-Leiter im Senderaum weiter nach oben gefallen, seine Kunst also quasi geadelt worden war.
Aber die Institutionen waren als Kriterium scheinbar immer noch zu klein.
Hätte eine von Völkers Flachwaren-Schokoladen bei Sotheby‘s einen Rekordpreis geknackt, oder wäre Völker erst 13 Jahre alt gewesen, als er seine Strichpullover-Männer malte, oder hätte Donald Trump die Serie von Völkers Meerschweinchen-Rockstars als Hochzeitsgeschenk für seinen Friseur in Brooklyn aufgekauft, dann hätte es mit einer Platzierung ganz sicher geklappt.
Und das bei qualitativ gleichbleibender Kunst.
*Rekordpreis für einen lebenden deutschen Künstler unter 90
Umso glücklicher sind wir, inzwischen unsere eigenen Blogger-Herren zu sein. Und natürlich auch, dass Cornelius Völker nun endgültig in den Museumsolymp aufgestiegen ist – sprich: in den Düsseldorfer Kunstpalast. Es ist ja für die Beurteilung des eigenen Urteilsvermögens immer beruhigend, wenn die Richtigen genauso denken wie man selbst.
Size does doch matter!
Was sollen wir sagen? Die Schau in Düsseldorf gibt uns recht. Sie tat uns gut. Sie ist überwältigend sogar in ihrer Schönheit, die ironisch am Kitsch schabt, im Grunde aber ein neues Licht wirft auf die alten Themen der Kunstgeschichte. Zeit und Vergänglichkeit, die von uns andernorts auch schon herbeizitierte Welt der Dinge. Aber auch die Welt des Lasters und der Versuchung, die Verletzlichkeit des Körpers, unser aller Wunden. Nicht auf der Seele: in der Haut.
Und immer wieder: die Kunst selbst, als opulente Malerei. Ein barockes Fest.
Und natürlich, in dieser Fülle vielleicht etwas gewollt erscheinend, das Periphere, das Möglichst-Noch-Niemals-Zuvor-Gemalte: benutze Pflaster, benutzte Tampons (keine Angst: Der Ekel ist herausgemalt, die Provokation hält sich in Grenzen, darum geht es nicht). Kaffee und Koks, Pistolen, ein sinnlos brennendes Feuerzeug: also die Kerze von früher als brennender Dornbusch.
Ein Stillleben, auf dem neben den klassischen Accessoires (Kerze, Flasche) eingeweckte Nahrungsmittel und eine verlorene Creme-Dose stehen. Und Spargel von noch größerer Männlichkeit als bei Manet. Size does eben doch matter. Zumindest in der Malerei.
Das hat viel Witz, viel Klasse. Und gehört definitiv ins Museum. Gehörte es ja auch schon zur Jahrtausendwende. Unsere Rede. Ätsch, liebes Kultur-Vermittlungs-Institut. Wobei: Wir können uns natürlich irren. Die Kunstgeschichte wird das zeigen. Unsere Kriterien sind ja vielleicht auch nur undistanziertes Zeitgeistgekröse.
Was heute alles ins Museum kommt
Apropos Zeitgeist: Der ist in den letzten Jahren verstärkt über diverse Hierarchien hinweggefegt. Inzwischen kann jeder Hinz & Kunz & Hunz in Blogs aufschreiben, was er persönlich für Kunst hält und was nicht. So ziemlich alles kann ins Museum kommen. Und interesseloses Wohlgefallen ist auch nicht mehr unbedingt kuratorisches Muss. Schließlich sollen Menschen in die Säle strömen, dafür ist Manchem manches Mittel recht.
Oder eben manches vielleicht auch etwas sonderbar anmutende Kriterium. Wie bei der Ausstellung “Beyond Fame”, die vis-à-vis zu “Cornelius Völker” im NRW-Forum läuft, das ja seit Kurzem zum Kunstpalast gehört. Sie versammelt Bildhaftes und Skulpturales von Prominenten, die in ihrer Freizeit malen, zeichnen oder skulpturieren. Muss nicht gut sein, könnte aber. Und die Menschen strömen, weil man die Namen auf den Beipackzetteln kennt.
Uns hat die Schau, nicht zuletzt mit unserer persönlichen Geschichte zu Cornelius Völker und zum Scheitern im Rücken, zumindest dazu gebracht, etwas näher darüber nachzudenken, was – für uns! – Kunst ausmacht und was eben nicht. Das ist ja auch schon was.
Unser Fazit: Die souveränen Porträtfotos von Bryan Adams gehören eindeutig ins Museum, aber das wussten wir natürlich auch schon vorher. Bei der Installation von Meret Becker sind wir uns zumindest unsicher. Sie (also die Installation, nicht Meret Becker) sagt uns aber, offen gestanden, nicht so wirklich viel.
Es gibt sie also doch, die GALERISTEN-WARE!
Anton Hofreiters Blumen und Berge sind zumindest hübsch fürs Wohnzimmer. Aber das, was Harald Glööckler macht, ist genau das, was in unseren Augen auch das doppelte “ö” in seinem Namen sein soll: aufmerksamkeitsheischende Selbststilisierung, die nicht mal mehr das Original imitiert, sondern die Kitsch-Kopie, also nicht Michelangelo, sondern David LaChapelle. Und für die Stigmen fehlte wohl die Schminke.
Wie wir Wikipedia entnommen haben, eröffnete Harald Glööckner 1998 in Stuttgart eine Kunstgalerie, um seine eigenen Bilder zu vermarkten. Insofern darf man hier vielleicht tatsächlich mit Fug & Recht das ansonsten verbotene Wort von der Galeristen-Ware benutzen.
Bei Cornelius Völker aber bitte bitte nimmermehr.
Was also ist denn nun gute Kunst? Das Nie-gehört-Kriterium sticht in unseren Augen auf jeden Fall ebenso wenig wie die Everybody’s-Darling-Nummer. Keine Biografie ist da zur Beurteilung wichtig und kein Auktionsrekord, sondern immer nur der Blick aufs konkrete Werk. Totschlag-Argumente haben hier ohnehin nichts zu suchen. Man sollte lieber den eigenen Kopf befragen. Oder den eigenen Bauch.
Und da finden wir eben nach wie vor, dass Cornelius Völker richtig gute Kunst macht. Und wenn seine Bilder im Atelier verschimmeln würden, so wären sie trotzdem gute Kunst. Trotzdem ist es toll, dass sie jetzt im Kunstpalast hängen. Möge sich also Jeder – gerne auch vis-à-vis im NRW-Forum bei Meret Becker, Harald Glööckner oder Michael Stich – sein eigenes Urteil bilden. (17.09.2023)
Anmerkung: Als wir durch die Cornelius-Völker-Ausstellung schlenderten, belauschten wir en passant auch einen Satz zweier hastiger Damen, die wenig später mit ihrem Smartphone vor einem der Großformate als Wallpaper ein Selfie machten: “DEN müsste man kaufen!”. Und auch der Kunstpalast soll schon Kaufanfragen erhalten haben. Museum und Ware sind beizeiten eben auch nur einen Bindestrich voneinander entfernt.
“Cornelius Völker” ist noch bis zum 7. Januar 2024 im Kunstpalast Düsseldorf zu sehen. “Beyond Fame. Die Kunst der Stars” im NRW-Forum vis-à-vis läuft sogar noch zwei Wochen länger.
Die legendären Kunstpalast-Quizze der KunstArztPraxis:
Pack’s aus! Das Christo-und-Jeanne-Claude-Quiz
Funky Funky Funky: Das Kunstpalast-Electro-Quiz
Lüster, Glaube und Verfall: Das Barock-Modern-Quiz
Danke für den Artikel über Cornelius Völker. Ein ganz Großer. Wer sich wirklich für Malerei interessiert sieht das sofort. Die Arroganz mancher Teile der Kunstszene hat etwas Absurdes. Da hängt allen Ernstes, völlig ironiefrei und genau so gemeint ein “Bild” von Jonathan Meese in der Kunstsammlung NRW. In Nachbarschaft grandioser Picassos und Beckmanns.Wenn es nicht traurig wäre könnte man Lachkraempfe bekommen. Manche “Experten” vertrauen eher irgendwelchen Legenden und Mystifizierungen als ihren Augen und Herzen. Wunderbar dass Völker im Kunstpalast hängt… Und tröstlich, dass Sie schon früh erkannt haben, dass das genauso sein muss. Das gibt Hoffnung. Danke, Ben Wilmes
Moin,
als ich mich im Foyer des Kunstpalasts entschloss, nicht mit ALLEN in die monströse Show von Tod und Teufel zu strömen, fiel mir dein Name Cornelius Völker auf, nie gehört, nie gesehen. Wieder mal eine Folge der Tatsache, dass ich Sie erst seit zwei Jahren oder so lese. Ich stimme zu, er feiert die Malerei, ohne überkonstruierten Hintersinn und prächtig.
Das Beste an „Beyond Fame“ ist die Herausforderung an das Publikum. Das Konzept streicht ja die Voraussetzung, es müsse hier abgesegnet gute Kunst zu finden sein. Das Publikum wirkt entsprechend lebhaft, die KAP allerdings zurückhaltend. Hat hier die Verunsicherung Wirkung gezeigt? Auch Grimes, Lea Draeger, und Peter Doherty konnten mich überzeugen.
Ahoi
Karl Kröger
Ihr Bericht gefällt mir ausgesprochen gut, da ich mir die Ausstellung angesehen habe. Das Wort “Galeristen-Ware” fand ich frech und herablassend. Erst die Erwähnung von Meister Krieg bringt Pluspunkte…das finde ich abgeschmackt. Aber die Kunstszene ist eben ein Haifischbecken.
Ich hatte bei der Betrachtung seiner Werke ein Kribbeln im Bauch…wenn das mal nix ist.
KunstArztPraxis: Herzlichen Dank, das freut uns sehr! Und: Kribbeln im Bauch ist mit das Allerbeste.
Schöner Text!
LG Max Frintrop
Wie von Ihnen gewohnt (oder sollte man sagen verwöhnt) ist Ihr aktueller Beitrag über Völker treffsicher analysiert und fein beobachtet! Es macht immer Freude, Ihre Texte zu lesen. Bereichernd, inspirierend und einfach klasse! Wollte ich auch hier einmal zum Ausdruck bringen. Weiter so!
Beste Grüße
Ihr So
Antwort KunstArztPraxis: Lieber Herr Sommer, 1.000 Dank! Wir werden uns bemühen. Ihre KunstArztPraxis
Ihr neuer “Newsletter” von der KAP ist für mich wieder mal ein Lesevergnügen und gelungener Appetizer (oder auch ein perfektes amuse gueule) für die Kunst. Großartig. Weiterso. Mehr davon.
Antwort KunstArztPraxis: Hach. Toll. Herzlichen Dank.Glücklich, wer solche Leser*innen hat. Ihre KunstArztPraxis.