Mit Arnies Augen: „SHIFT“ im Marta Herford
Anhand von neun internationalen Positionen wirft das Marta die Frage auf, welche Folgen KI auf die Physiognomie des Menschen, sein soziales Handeln und seine Evolution haben könnte. Dabei ist viel Künstlerische Intelligenz im Spiel – die wir einfach mal mit den Augen Arnold Schwarzeneggers betrachten.
In der Zukunft hatte Arnold Schwarzenegger es besser. In „Terminator 2“ (1999) darf er eine supercoole Sonnenbrille tragen, hinter deren dunklen Gläsern sich ihm die Deutung der Welt direkt auf die Netzhaut brennt. Wann immer dem grimmigen Androiden etwas Humanes oder Humanoides entgegentritt, werden dessen Daten in flammend roter Schrift direkt im Auge eingespielt.
Eine KI in Schwarzeneggers Kopf wertet dann die Daten aus. Anschließend gibt’s 0 oder 1, also Schutz oder Schläge, Hilfe oder Haue.
Wenn alles glatt läuft, dann werden wir es bald genauso gut haben als Arnold Schwarzenegger.
Wir werden in unsere Vorgärten schauen und die lichtemittierenden Polymere auf unserer Netzhaut werden uns sagen, dass die Hortensien dringend Wasser brauchen. Wir werden nach unseren Babys spähen und die Polymere werden uns verraten, dass es schon wieder Zeit zum Windeln-Wechseln ist.
Wir werden auf unsere Frauen blicken und die Polymere werden uns warnen, den Hochzeitstag bloß nicht zu vergessen. Wenn wir besonders kluge Polymere haben, dann bestellen sie auch noch einen personalisierten Hochzeitstags-Strauß bei Amazon Prime.
Und drinnen wechselt ein Roboter, der uns verblüffend ähnlich sieht, weil seine Hardware-DNA auf unseren Bio-Daten fußt – oder der auf Wunsch zwar unser Gesicht, aber den Traumkörper Arnold Schwarzeneggers hat –, dem Baby giggelnd die Windeln.
Aber zu wem wird das Baby später aufschauen, wenn es entscheiden kann, zu wem es aufschauen will? Wird es am Ende das giggelnde Gesichtsdouble mit dem ungleich smarteren Körper mehr lieben als uns, seine humorlosen, muskelschwachen Väter aus Fleisch und Blut?
Wird uns das Double bei unseren Erziehungsversuchen im Beisein des Zöglings vielleicht sogar züchtigen? Unsere Stellung im Haushalt einnehmen, unsere Ehe führen, während wir nachts draußen im Rasensprenger-Regen als trauriger Zaungast dem häuslichen Glück im erleuchteten Wohnzimmer zuschauen müssten, während die Hortensien blühen, als ob nichts wäre?
Aus der chinesischen Sexpuppen-Produktion
Auch dazu gibt es einen Film mit Arnold Schwarzenegger, „The 6th Day“, der Vollständigkeit halber sei es gesagt. Aber wir müssen gar nicht erst nach Hollywood schweifen, denn im Marta hängt ein Foto, das ähnlich mulmige Gefühle in uns auslöst. Auf ihm klammert sich das echte Kleinkind der Künstlerin Louisa Clement an eine irgendwie schützend & liebevoll & verträumt & leer wirkende Robotikfrau aus der chinesischen Sexpuppen-Produktion, die die Züge von Louisa Clement trägt.
Von diesen Puppen gibt es drei. Wie von uns.
Dank eines KI-gesteuerten Chatbot-Hirns und des vollständig eingespeisten Mail-Verkehrs der Künstlerin kann man sich mit diesen (in Herford leider nicht real präsenten) „Repräsentantinnen“ sogar über Louisa Clement unterhalten: Wenn denn die Kraft des WLAN ausreicht. Das war offenbar bei der ersten Station der Schau in Stuttgart nicht der Fall.
In „SHIFT“ im Marta rollen deshalb zwei Repräsentantinnen-Köpfe über eine Leinwand und beten unaufhörlich ihr Schnittstellen-Mantra „I can’t connect to internet“ herunter. Auch Künstler*innen sind eben selbstlernende, oft sogar selbstironische Systeme. Und das Phantastischste an Science-Fiction-Filmen à la Schwarzenegger ist ja, dass die Technik reibungslos funktioniert.
Die 30 Gesichter der/des Chelsea E.
Wenn man „SHIFT“ im Marta als Maßstab nimmt, dann würde sogar Arnies vom menschlichen Widerstand der Zukunft geschickte Gesichtserkennungs-Software in „Terminator 2“ versagen. Zumindest eine Doubletten-Produktion wie in „The 6th Day“ hätte so ihre Schwierigkeiten. So hat Heather Dewey-Hagborg in einer wundervoll raumfüllenden Installation aus einer genetischen Probe der Whistleblowerin Chelsea E. Manning 30 mögliche Porträts generieren lassen – und die könnten unterschiedlicher, fluider nicht sein.
Schon schön, dass sich Identität offenbar nichtmal rein äußerlich über Biomarker herstellen lässt. Vielleicht hat der menschliche Widerstand in einer KI-basierten Zukunft ja doch noch eine Chance gegen die apokalyptischen Reiter der Automaten.
Ohnehin kann man in Herford bestaunen, was – und wie viel – Künstler*innen über eine Wirklichkeit zu sagen haben, in der der hybride Shift-Switch zwischen biologischer und künstlicher Intelligenz bereits vollzogen ist. Wie man Marlene Dietrich aus einer (natürlich online) ersteigerten Haarsträhne reanimieren könnte zum Beispiel. Oder wie frostig es irgendwann einmal für all jene toten Multi-Milliardäre wird, die sich in der Hoffnung auf ein besseres Morgen heute schon mittels Kryonik mumifizieren lassen.
Und dann gibt es auch noch die unvergleichliche Hito Steyerl, die die Besucher*innen in ihrer Video-Installation mit virtuellen, hysterisch veitstanzenden Polizist*innen so tief in eine veritable Datenstrom-Hölle schickt, dass ihnen im Geschwindigkeitsrausch auf ihren rückenschonenden Gymnastikbällen Hören und Sehen (und damit auch die Möglichkeit zur autonomen Informations-Verarbeitung) vergeht.
Eine Bild gewordene Kritik an Überwachungsstaat und Demokratiefeindlichkeit ganz ohne moralischen Zeigefinger. Richtig toll.
Bleibt nur noch die Frage, ob es wirklich so schlau ist, KI an Denkmustern und Lernstrukturen einer Spezies auszurichten, die gerade drauf & dran ist, sich sehenden Auges selbst auszulöschen, weil sie entgegen aller Vernunft nicht auf Ölheizungen, Rasensprenger, Hortensien und monopolistische Online-Shops – also auf Mega-Konsum und Hyper-Bequemlichkeit – verzichten will? Besonders klug scheint uns das nicht.
Wäre vielleicht der schlaue Schleimpilz eine Alternative, wie man von Jenna Sutela lernen kann? Mit seinem Hirn als Basis wäre gegebenenfalls eine viel charmantere KI denkbar, welche die sie umgebende und versorgende Umwelt schützt, statt sie – und damit sich selbst – zu vernichten.
KI, die von sich abrät
Was wir also bräuchten, wäre zum Beispiel ein Roboter-Double, dass sich schlichtweg weigert, unseren Babys die nächste Wegwerfwindel anzukleben oder Hochzeitstags-Blumen per Drone zu bestellen. Eine KI, die uns tagtäglich daran erinnert, wie tödlich jener digitalisierte Turbo-Kapitalismus im Grunde ist, dem sie entsprang.
Wie die Bots der Installation „Amazonian Flesh“ von knowbotiq, die die Besucher*innen im Marta auffordern, ihre Lohnarbeit für immer aufzugeben. Das wäre zwar ein Aufstand der Maschinen wie in Arnies „Terminator“. Aber eben in weise & gut. (21.08.2023)
Anmerkung: Eines Tages wird man nicht mehr ins Kino gehen oder seine Lieblings-Serie streamen müssen: Man wird sich seine Lieblings-Filme mit seinen Lieblings-Schauspielern und seinem Wunsch-Plot einfach je nach momentanem Gusto von einer KI in Sekundenschnelle vorm Schauen individuell generieren lassen. Natürlich von Amazon Prime (personalisierte Serien macht weiterhin Netflix).
Wenn dem so wird, dann wünschen wir uns von Alexa als Allererstes einen Film, in dem Arnold Schwarzenegger alle drei KunstArztPraxis-Ärzte gleichzeitig spielt. Der erste KunstArzt-Arnie wird dann eher so ein Indiana-Jones-Typ sein, der zweite ein guter Jef Costello und der dritte ein noch coolerer Jake Gittes. Und gemeinsam lösen wir dann rätselhafte Kunstverbrechen wie die drei ??? in „Der seltsame Wecker“, „Das Erbe des Meisterdiebs“ oder „Die blutenden Bilder“.
Hach, das wird schön.
„SHIFT. KI und eine zukünftige Gemeinschaft“ ist noch bis zum 15. Oktober 2023 im Museum Marta in Herford zu sehen.
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Die Schrift und Grafik im Auge des Terminators sind sowieso ein Film-Artefakt. Natürlich brauchen Roboter ihre erfassten Daten nicht in Schriftform transformieren.
Antwort KunstArztPraxis: Auch ein wichtiger Hinweis! So ist es in der Tat. Herzlichen Dank.
Hi Leute,
kann es sein, dass Ihr Terminator 2 lange nicht gesehen habt?
Es ist nicht die Brille, die die Informationen wiedergibt.
Arnold ist doch eine Maschine und sein Auge selbst ist es!
Die Brille klaut er dich erst am Ende der Szene von einem der Biker und ist eine ganz gewöhnliche Sonnenbrille.
Ansonsten super Artikel! Danke und liebe Grüße,
Felix
Antwort KunstArztPraxis:
Stimmt, die Brille ist ja schon das Relikt einer ersten Haue-Performance unter Rockern! Wir brauchen wohl auch eine Gedächtnis-KI.
Danke, wir haben das schon abgeändert. Weshalb dieser Kommentar nebst Antwort für alle, die den Text erst jetzt gelesen haben (vorher hieß er „Durch Arnies Brille“ oder so ähnlich), eine Botschaft aus der Vergangenheit ist.
Danke also nochmals, Ihre KunstArztPraxis
P.S.: Super Mail-Adresse!
Antwort Felix: hehe .. Danke und sorry fürs Klugschei*en.
Antwort KunstArztPraxis: Klugschei*erei, die weiterbringt, ist stets willkommen.