Sammlung mit Seele: „Other People Think“ im Marta
Momentan macht das Marta Herford in mehreren Schauen das museale wie das private Sammeln zu seinem Thema. Mit „Other People Think“ ist gerade die Sammlung des Familienunternehmers Heiner Wemhöner zu Gast. Und da kann man sehr schön sehen, wie richtig sammeln geht.
Wir als KunstArztPraxis werden oft gefragt: „Hey, KunstArztPraxis, Du musst es doch wissen: Wie sammelt man Kunst eigentlich richtig?“ Das ist eine Frage, die uns immer wieder ärgert.
Deshalb beten wir jedes Mal aufs Neue unser Mantra herunter: „Hey Frager*in, das ist die falsche Frage – inklusive „eigentlich“! Die Frage müsste lauten: Wie sammle ICH Kunst richtig? Und DAS können wir Dir nun wirklich nicht sagen.“

Was wir mit dem Nicht-Sagen-Können sagen wollen: Kunst zu sammeln ist ein dezidiert individuelles Risiko. Es geht ja um Dinge, an denen man sich persönlich über Jahrzehnte nicht satt sehen soll.
Aber vielleicht gibt es doch generell ein paar Phasen, die jedes Sammlerherz durchlaufen müsste. DAS zumindest kann man vielleicht sagen.
Meistens fängt man aus Gründen irgendwann einfach an damit (Phase Eins). Dann wächst der Körper, und wenn man Glück hat, bemerkt man rechtzeitig, dass er eine Haut aus Seele braucht: Persönlichkeit. Der Körper sollte eine Richtung haben, die seine Masse zusammenhält. Sonst wird die Sammlung Brei.
Ugo Rondine, „black green nun“ (2020), Marta, Herford 2025
Das ist dann Phase Zwei. In unseren Augen die wichtigste.

Und weil man meistens mehr sammelt als man Wände hat – wir sprechen hier ja von süchtig machender Leidenschaft –, wäre irgendwann natürlich auch ein eigenes Museum eine feine Sache: ein Haus, in dem der mit Seele behäutete Körper sich wohnlich einrichten kann.
Das ist dann Phase Drei. Diese letzte dritte Phase erreichen die Wenigsten.
Halt nein, das hätten wir ja fast vergessen!
Halt nein, das hätten wir ja fast vergessen! Es gibt noch eine vierte Phase, und das ist sicher die Königsdisziplin des Kollektiven. Man kann ja auch noch ein Museum bekommen UND ein Schaudepot – und VORHER eine Schau im Marta Herford!
Phase Vier zündet gerade bei Heiner Wemhöner, der seine in 30 Jahren angehäuften rund 1.800 Exponate bald in den Räumlichkeiten des ehemaligen legendären Nachtclubs „Cheetah“ in der Berliner Hasenheide UND im eigenen Schaudepot in Herford zeigen wird.
Und einen Teil davon, 25 Positionen, jetzt eben, kurz vorher, auf Einladung von Marta-Direktorin Kathleen Rahn, noch in „Other People Think“.
Neben 70 zum Großteil tollen Werken zeigt die Ausstellung, wie man in Phase Zwei des Sammelns vieles richtig machen kann, mit großen wie mit kleineren Namen – vielleicht auch, weil man sich beim Sammeln nicht so wirklich drum geschert hat, was andere Leute denken (?).

In DIESE Fußstapfen (von Rodin) muss man erstmal treten! Asta Gröting,
„Ein Bürger von Calais / die Füße von Eustache de Saint Pierre“ (2015), Marta, Herford 2025
In der Sammlung Wemhöner geht es um Zeit und Kommunikation in allen ihren Erscheinungsformen. Es geht um Gefühle, um Wünsche, Identität, die große künstlerische Geste. Es geht um Politik, Kapitalismus, das sinnliche Erleben. Und es geht um Humor.
Es geht also ums Menschliche, Allzumenschliche: Für eine Sammlung keine schlechte Richtung, wie wir finden. Und es geht um die Wurst.
Die Wurst besteht eigentlich aus mehreren Würstchen und tobt in Herford wie ein güldenes Pressfleisch gewordenes Rumpelstilzchen.
Sie stammt vom durch uns hoch verehrten Erwin Wurm, von dem wir anlässlich einer Ausstellung im Lehmbruck Museum in Duisburg bekanntlich mal eine Gurken-Edition initiiert – und natürlich selbst was in der hauseigenen Praxis-Sammlung – haben.

Für uns steht Wurms Wutwurst stilistisch zwischen dem Hausengel von Max Ernst und einem tobenden Donald Trump – äh: Duck (sorry, Donald!) von Carl Barks. Aber man kann sie im Kontext der Sammlung durchaus auch politisch zerzutzeln.*
Denn neben dieser tragischerweise unfassbar aktuellen Figur steht Wurms Miniatur-Barack-Obama, der sogar in seiner Gartenzwerg-Variante neben Komik noch Würde ausstrahlt – anders als Wladimir Putin, der bei Wurm jenes im Grunde arme Würstchen ist, dass er nun mal ist.
Passt also alles. Meint: Passt also alles zusammen. SO geht Sammlung mit einer zarten Eigenhaut aus Seele.
*Ja, klar, vielleicht FREUT sich Wurms Würstchen auch wie ein Schneekönig oder
wie die drei Chinesen ohne Kontrabass ihr gleich gegenüber. Würste können ja nicht sprechen!
Es ist bei ihnen wie beim Kunstwerk: Sie müssen sich alles gefallen lassen.
Und zwar von Jedem, der über sie zerzutzelnd nachdenkt.
Denn das müssen wir dann doch noch betonen: Man kann zwar Niemandem sagen, wie er richtig zu sammeln habe. Aber nach Phase Zwei des Sammlerherzens kann Jede*r immerhin sehen, ob es geklappt hat.

Ach ja, der Vollständigkeit halber, und weil wir gerade von Würstchen redeten: Es gibt natürlich noch einen anderen Sammler-Typen, der aber lieber von Berater*innen sammeln lässt, das ist der von uns sogenannte Investment-Sammler.
Der denkt in großen Namen und sammelt Kunst nach Sofa-Farbe oder für mit großen Namen überm Sofa zu beeindruckende Gäste seines Heims. Oder gleich fürs Zollfreilager. Dort liegt dann der Brei in seinen Kisten und verschimmelt.
Von DIESEM Sammler-Typen wollen wir hier erst gar nicht reden. SO sammelt man Kunst nämlich eigentlich komplett falsch & seelenlos. Mit einem fetten „eigentlich“. (06.07.2025)
„Kunst ist eine riesige Geldvernichtungs-Maschine“
Mary Bauermeister
„Other People Think. Eine Auswahl aus der Sammlung Wemhöner“ ist noch bis zum 24. August 2025 im Marta in Herford zu sehen. Die Schau ist Teil eines Ausstellungsstücks-Programms, das sich dezidiert mit dem Thema „Sammeln“ auseinandersetzt.

Anmerkung: Wir haben oben irgendwo einmal geschrieben, dass man sich beim Sammeln nicht darum scheren solle, was andere Menschen denken. Das halten wir fürwahr für wahr. Alfredo Jaars Schriftzug aus der Sammlung Wemhöner, dem die Ausstellung ihren Titel verdankt, ist natürlich anders gemeint!
Er bezieht sich auf einen Vortrag von John Cage, den wir ja ebenfalls sehr verehren, deshalb strahlt er uns ganz besonders an. Aber wie könnte er gemeint sein? Wechseln Sie einfach mal die Perspektive und denken Sie drüber nach. Ihre KunstArztPraxis.
Das Marta in der KunstArztPraxis:
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+++ Eil +++ Eil +++ Eil +++ Piraten entern Marta!
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Sehr schöner Text mal wieder, Tolle Bilder.Danke! Hazel